Lindner zieht die Notbremse: Haushaltssperre für alle Ministerien

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse zieht weite Kreise. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat am Montag eine Haushaltssperre für alle Ministerien verhängt. Betroffen ist auch der „Abwehrschirm“ gegen hohe Energiepreise. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schlägt vor, für 2023 eine „Notlage“ auszurufen.
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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat mittlerweile zu einer Haushaltssperre geführtFoto: Sean Gallup/Getty Images
Von 22. November 2023

Wie die „Deutsche Presse-Agentur“, „Reuters“ und der „Spiegel“ übereinstimmend berichten, hat Bundesfinanzminister Christian Lindner über die Einzeletats aller Ministerien eine Haushaltssperre verhängt. Dies ist offenbar die Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltssperre aus der Vorwoche.

Haushaltssperre trifft alle Verpflichtungsermächtigungen für Haushaltsjahr 2023

Der „Spiegel“ beruft sich auf ein Schreiben des zuständigen Staatssekretärs Werner Gatzer, in dem sich dieser auf Paragraf 41 der Bundeshaushaltsordnung beruft. Diese befasst sich mit der Haushaltssperre.

Aus dem Bundesfinanzministerium selbst hat es am Dienstagmorgen, 21. November, noch keine Bestätigung gegeben. In Kreisen des Bundesfinanzministeriums war jedoch schon am Montagabend die Rede von einem Stopp sogenannter Verpflichtungsermächtigungen für das laufende Haushaltsjahr. Damit wolle man „Vorbelastungen für kommende Jahre“ vermeiden.

Wie es in der Mitteilung heißt, dürfen vom Etat abgedeckte bestehende Verbindlichkeiten bedient werden. Allerdings sei es nicht mehr gestattet, neue einzugehen. Eine Entsperrung kann in Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium „in Ausnahmefällen“ erfolgen.

Betroffen ist auch das Sondervermögen für die Energiepreisbremse

Von der Maßnahme betroffen ist nicht nur der „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF), der Gegenstand der Klage der Unionsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht war. Dessen Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 60 Milliarden Euro, die zuvor aus dem Corona-Sonderfonds umgeschichtet worden waren, hatte das Höchstgericht als verfassungswidrig erklärt. Der Vorgang, so hieß es aus Karlsruhe, habe eine Umgehung der Schuldenbremse des Grundgesetzes dargestellt.

Betroffen von der Haushaltssperre ist jedoch auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Diesen hatte die Bundesregierung ebenfalls ursprünglich zur Bewältigung der Corona-Pandemie aufgelegt. Im Vorjahr erweiterte sie ihn jedoch unter dem Eindruck der Energiekrise. Ursprünglich sollte er zum 30. Juni 2022 auslaufen.

Verbunden mit der Reaktivierung war eine Kreditermächtigung für den WSF in Höhe von 200 Milliarden Euro. Damit sollten die Maßnahmen zur sogenannten Strom- und Gaspreisbremse bis zum 31. März 2024 finanziert werden.

Haushaltssperre kommt Debatte um Zukunft des WSF zuvor

Bereits Anfang der Woche hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seiner Einschätzung Ausdruck gegeben, dass der Tenor des Urteils auch den Energiepreisbremsen den Boden entziehen würde.

Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts sei so fundamental, dass sie sich im Grunde auf alle überjährigen Sondervermögen beziehen würde. Am Ende könne die Bundesregierung im Krisenfall die Netzentgelte nicht mehr abdeckeln, erklärte Habeck gegenüber dem „Deutschlandfunk“.

Gegenüber dem Vorjahr sind die Marktpreise für Strom und Gas deutlich zurückgegangen. Es ist daher kaum noch damit zu rechnen, dass Maßnahmen auf der Grundlage der Energiepreisbremsen zum Tragen kommen werden. Ausgenommen von der aktuellen Haushaltssperre sind lediglich die Etats der obersten Verfassungsorgane wie des Bundespräsidenten, des Bundestags, des Bundesrats und des Bundesverfassungsgerichts.

Hearing vor dem Haushaltsausschuss am Dienstag

Minister Habeck bekannte sich im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“ zur Schuldenbremse; allerdings nicht in ihrer heutigen Form. Diese sei „statisch und unflexibel“, äußerte der Minister. Gegenüber den „Tagesthemen“ legte er noch nach und erklärte, sie sei „zu wenig intelligent“. Sie unterscheide „nicht zwischen Geld, das ausgegeben wird, und Investitionen in die Zukunft“.

Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte, er halte ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse für unausweichlich. Für Dienstag ist ein Hearing mit Experten vor dem Haushaltsausschuss geplant. Thema sollen die möglichen Folgen des Karlsruher Urteils sein.

Über einen Plan B für den Fall des Scheiterns der Umwidmung vor dem Bundesverfassungsgericht verfügt die Ampel offenbar nicht. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte am Montag, man prüfe derzeit noch die Konsequenzen des Spruchs. Es müsse erst geklärt werden, wie groß das Haushaltsloch sei.

KTF steht nicht völlig ohne Mittel da

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch hat die Haushaltssperre gegenüber RTL und ntv als „vernünftigen Schritt“ bezeichnet. Es sei erforderlich, die Situation zunächst zu bewerten und in Ruhe zu analysieren.

Miersch geht nicht davon aus, dass der Kernhaushalt infrage stehe. Es sei damit zu rechnen, dass eine Verabschiedung des Bundeshaushalts 2024 wie geplant über die Bühne gehen könne. Das Problem sei der Sondertopf des Klima- und Transformationsfonds. Allerdings müsse man erst die Expertenanhörung abwarten.

Der Bundesrechnungshof hatte zuvor Bedenken hinsichtlich des geplanten Haushaltsbeschlusses geäußert. Die Optionen der Bundesregierung nach dem Karlsruher Spruch sind jedoch begrenzt. Die FDP plädiert für Ausgabenkürzungen. Der KTF verfüge bis 2027 immerhin noch über 70 Prozent der eingeplanten Mittel – aus Emissionshandel und CO-Bepreisung.

„Sondervermögen Klimaschutz“ mit Zustimmung der Union?

Die übrigen möglichen Ausgleichsstrategien für die Haushaltslücke erscheinen als wenig aussichtsreich. SPD und Grüne plädieren für Steuererhöhungen – insbesondere für Wohlhabende. Diese dürften an der FDP scheitern. Die Option, den CO₂-Preis noch weiter zu erhöhen, demgegenüber an der Lebensrealität.

Im Jahr 2009, in der Zeit der ersten Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, wurde die Schuldenbremse mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen. Für eine Modifikation wäre wieder die Zustimmung der Union erforderlich. Gleiches würde für ein mögliches „Sondervermögen Klimaschutz“ gelten.

Das Grundgesetz erlaubt auch mit einfacher Mehrheit das Aussetzen der Schuldenbremse. Dies wäre möglich bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat im ARD-ZDF-„Morgenmagazin“ konstatiert, womöglich müsse man 2023 zur „Notlage“ erklären. In diesem Fall drohen jedoch erneut Verfassungsklagen.

(Mit Material von dts)

 



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