Prof. Bruns: „Regierung hat die importierten Probleme heruntergespielt“

Prof. Dr. Werner Bruns sah im September 2022 eine neue Protestwelle auf Deutschland zukommen, die sich in der Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation und der gesellschaftlichen Ungleichheiten begründet. Ein Grund für diese Zuspitzung sah er in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Epoch Times sprach mit dem Soziologen.
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Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Werner Bruns.Foto: privat
Von 11. November 2023

Mit dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober zeigen sich zunehmend „eingewanderte Konflikte“ auf Deutschlands Straßen. Epoch Times sprach mit dem Soziologen und Buchautor Prof. Dr. Werner Bruns über die jetzige gesellschaftliche Situation und inwiefern sie mit der Migrationspolitik der Bundesregierung zusammenhängen.

Prof. Bruns war Abteilungsleiter und Politischer Direktor im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zwei Jahre Vertreter des Staatssekretärs. Er publizierte zahlreiche gesellschafts- und wirtschaftspolitische Bücher und Aufsätze. Heute leitet er das „Europa-Institut für Erfahrung und Management – METIS“ an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH).

Welche Verantwortung sehen Sie bei der Politik für die angespannte Migrationsproblematik? 

Die Politik, nicht nur die, sondern auch weite Teile der Gesellschaft, hatte ein falsches Ideal von der „multikulturellen Gesellschaft“. Damit bekamen ethnische Unterscheidungen ein sehr großes Gewicht. Unter dieser Prämisse entstanden zwangsläufig ethnische Stadtteile und Gemeinschaften, in denen hauptsächlich die sozialen Kontakte des Alltags innerhalb ihrer Kultur gelebt wurden. Im Extremfall haben sich hier eigene Subgesellschaften herausgebildet, so wie man sie heute z. B. aus Berlin, Frankfurt und Köln kennt. Sie besitzen ein erhebliches Konfliktpotenzial.

Der Staat hat es versäumt zu vermitteln und durchzusetzen, dass zwar jeder im privaten Leben denken, fühlen und auch weitgehend tun kann, was er will, das gehört zur liberalen Demokratie, es aber zugleich auch zwingend ist, kulturelle Fähigkeiten und Fertigkeiten der „Aufnahmegesellschaft“, z. B. die Sprache, zu erlernen und die Geschichte zu verstehen. Hier fehlten auch staatliche Angebote.

Zudem hat man nicht bedacht, dass in einer Welt internationaler Konflikte, so wie wir das heute erleben, diese mit in die „Aufnahmegesellschaft“ hineingetragen werden. Natürlich auch die Art, wie man sie austrägt, ob friedlich oder nicht friedlich. Territoriale, ethnische und religiöse Vorstellungen spielen hierbei selbstverständlich eine zentrale Rolle. Die Soziologie (Hartmut Esser) hat vor solchen Entwicklungen sehr früh gewarnt und stattdessen auf die „strukturelle Assimilation“ gesetzt – der stärkeren Einbeziehung der Migranten in das Bildungssystem.

Was hat die Bundesregierung in der Migrationspolitik aus Ihrer Sicht falsch gemacht?

Die Politik hat keine klaren Erwartungen an das Leben in Deutschland formuliert. Die kulturelle Anpassung erfolgt, wenn die Integration gut läuft, über das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und andere zentrale Institutionen eines Landes und die Nachbarschaft, sodass das alltägliche Leben Kontakte zur deutschen Bevölkerung eröffnet wird, weniger interkulturelle Clubs und Vereinigungen.

Die Sichtbarkeit und der Austausch in der „Aufnahmegesellschaft“ sind wichtig. Kulturfeste sind zwar gut gemeint, sind aber in der Regel nicht nachhaltig genug. Deutschland ist nicht erst seit 2015 ein Einwanderungsland, sondern spätestens seit den 1960 Jahren. Ein Einwanderungsland ohne passendes Integrationskonzept, ohne Erfahrungen zu reflektieren und zu integrieren. Die Einwanderung in die USA macht nach kurzer Zeit aus den Migranten US-Patrioten, das ist uns in Deutschland leider nie gelungen. Wir dachten lange, dass wir keine Ansprüche und Forderungen stellen dürfen. Dazu gehört auch die Frage, wie viel Zuwanderung kann unsere Gesellschaft verkraften – finanziell und sozial? Die Fokussierung auf die politische Korrektheit von den gesellschaftlichen Eliten hat deren Realitätssinn u. a. auf dem Themenfeld der Migration getrübt.

Was für Auswirkungen hatte und hat dies auf die deutsche Gesellschaft und wie kann man dem entgegenwirken?

Lassen Sie mich mal so anfangen: Der Prozess der Globalisierung, der Individualisierung und der wachsenden Mobilität hat unsere Gesellschaft verändert. Identitätsstiftende Bezüge, so wie z. B. die Religion, stehen nicht mehr zur Verfügung für eine gemeinsame Vorstellung vom Leben. Es fehlt eine gemeinsame „Hintergrundrealität“, würde der Soziologe Niklas Luhmann sagen. Daran beteiligt ist auch die veränderte Medienlandschaft, denken sie nur an die sozialen Medien.

Lange Zeit führte der Wohlstand über Fleiß und Arbeit zu einem angenehmen Leben, man konnte sich etwas leisten. Die Arbeit war in Deutschland identitätsstiftend. Gegenwärtig verliert das Konzept „Arbeit bringt Wohlstand“ an Bedeutung. Die Zeiten werden durch globale, soziale und technische Entwicklungen für die Menschen immer schwieriger. Diese Entwicklung trifft besonders die Mittelschicht, die immer darauf hoffen konnte, dass Fleiß und Einsatz die Familien gut über die Runden bringen. Diese Versprechen gelten nicht mehr.

Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Klima hat sich in Deutschland sehr verschlechtert. Spätestens seit der Flüchtlingskrise und dem unkontrollierten Zuzug von Kriegsflüchtlingen im Jahr 2015 hat sich die Sicht auf Migration radikal verändert. Es macht sich der Eindruck breit, dass der Wohlstand durch Migration noch mehr unter Druck gerät, der Sozialstaat ausgenutzt wird und die mitgebrachten Konflikte in Deutschland auf der Straße ausgetragen werden.

Die Politik hat darauf über Jahre nicht reagiert, sie hat ihre eigene Bevölkerung mit ihren Ängsten nicht ernst genommen und die Fehler aus der multikulturellen Gesellschaft und den jetzt noch importierten Problemen heruntergespielt. Das Ergebnis ist, dass die Politik zwar differenziert zwischen gewünschter Zuwanderung zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen und illegalen Migranten, jedoch Teile der Bevölkerung dies nicht mehr tun. Hier ist Selbstkritik nötig und der Erklärungsaufwand der Politik hoch, ansonsten macht sich ein Ethnozentrismus in der Gesellschaft breit.

Was hat die Bundesregierung kürzlich dazu bewogen, ihren Kurs zu ändern?

Die Bundesregierung und die Opposition haben die Notwendigkeit erkannt, dass die vielfältigen aktuellen Probleme aus der Migration, insbesondere der illegalen, zugenommen haben und die Menschen das nicht mehr akzeptierten.

Die Fragen an die Politik sind mehr als komplex: Wie stoppen wir die unkontrollierte Migration? Wie teuer wird die fehlgeschlagene Integrationspolitik der letzten Jahre? Wer muss sie bezahlen, Bund, Länder oder beide? Wie gehen wir mit ethnischen Problemen, Gewalt und Kriminalität in den deutschen Städten um? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen benötigen wir in Zukunft? Wie sind die wirtschaftlichen Auswirkungen, brauchen wir eine Obergrenze? Wie schieben wir illegal Eingereiste besser ab?

Dieses Konglomerat an Problemen ist der Politik bewusst geworden, dabei hat der Druck aus der Gesellschaft geholfen, die Probleme auf den Tisch zu legen. Sollte die Politik die Probleme nicht in den Griff bekommen, bekommen die politischen Ränder noch mehr Zulauf.

Wie sehen Sie den kürzlichen Beschluss beim Bund-Länder-Migrationsgipfel? Wird das zu einer grundsätzlichen Änderung führen und sind diese auch tatsächlich umsetzbar?

Ich finde das Ergebnis enttäuschend, weil es in erster Linie um einen Ausgleich der Finanzlasten geht. Natürlich ist das aus Sicht der Bundesländer und Gemeinden verständlich. Es ist ein erster Schritt, löst aber die großen Probleme der Migration nicht wirklich. Die Selbsttäuschungen laufen leider aus einer gewissen Hilflosigkeit weiter und man muss auch fairerweise sagen, eine Sisyphusarbeit.

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen erkennen, dass es um zwei Baustellen geht: Die Folgen aus der verfehlten Integration der letzten Jahre müssen erkannt und behoben werden. Das Bild der multikulturellen Gesellschaft hat uns erhebliche Probleme bereitet. Das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt sind hier die wichtigsten Säulen, sie müssen mehr fördern und fordern. Die Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie die Voraussetzung für eine gute Bildung und Ausbildung und für eine bessere Integration ist. Sie verspricht Chancengleichheit und Aufstieg und damit mehr Identifikation mit Deutschland. Angebote müssen her!

In der aktuellen Situation, die zur Verschärfung führte, muss man nach Lösungen suchen, wie Verfahren und Prozesse so verbessert werden, dass der Zuzug begrenzt wird und die Abschiebungen beschleunigt werden. Das wird wohl die schwierigste Aufgabe sein.

Wenn Migranten ohne Pässe zu uns kommen, besteht kaum eine Möglichkeit, sie abzuschieben, weil sich die Länder in der Heimat weigern, sie wieder aufzunehmen. Was kann man tun? Es sollten mehr sichere Herkunftsländer definiert, mehr Grenzkontrollen und noch härtere Strafen für Schleuser geben. Zudem sollten die Leistungen des Sozialstaates auf ein europäisches Niveau gebracht und keine Entwicklungshilfe an Länder gezahlt werden, die sich weigern, ihre Menschen wieder aufzunehmen. Außerdem sollten wir eine offene Diskussion über Obergrenzen bei der Zuwanderung führen.



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