„Schluss mit Ritualen“: Sonntagswahlen sind ein Weckruf, Denkblockaden zu lösen + Video

„Mich stört, dass man nicht mehr zuhört, weil der vermeintlich Falsche etwas sagt, was aber in der Sache richtig sein könnte“, sagte der Polit-Publizist und Rechtsanwalt Dr. Stefan Grüll im Gespräch mit Brinkmann&König bei Berlin TV. Er sieht die derzeitige Aufgabe der FDP darin, den demokratischen Diskurs neu zu organisieren, sogar neu zu erfinden.
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Als eine "dümmliche, kurzsichtige, fatale Etikettierung von Wählern, die danach auch noch außen vor gelassen werden", bezeichnet Polit-Publizist Stefan Grüll die Blockade gegen die AfD.Foto: Screenshot von Youtube TV Berlin
Epoch Times5. September 2019

Im Gespräch mit Epoch Times präzisiert der nach eigenem Bekunden derzeit parteipolitisch heimatlose Liberale die Aussagen bei Brinkmann&König, nämlich was – und wen – er damit meint:

Es war ein Desaster für die FDP. Sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg erreichten die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde am Wahlsonntag nicht. Die AfD hingegen ist im Aufwind. Sie wurde zweistärkste Partei in beiden Bundesländern. In der Sendung auf Berlin TV sprach der Rechtsanwalt und Polit-Publizist Dr. Stefan Grüll über die FDP-Wahlschlappe und den Aufstieg der AfD.

Der ehemalige Vize der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag fühlt sich als Liberaler durch und durch, die Verbundengheit zur FDP ist sprübar.

Aus Grülls Sicht hätte die Partei mehr verdient. Den Grund für die Wahlschlappe sieht der Publizist in „einer Mischung aus selbst verursachter Problematik und Defiziten in der Kommunikation“. Darüber hinaus fehle die „klare Erkennbarkeit liberaler Positionen“, die heute mehr denn je gefragt sei. Das Wahlergebnis spiegele auch die Polarisierung wider. Ermutigend sei die Wahlbeteiligung.

Demokratischer Diskurs

Grüll sieht die Chance der FDP darin, den demokratischen Diskurs neu zu organisieren, sogar neu zu erfinden. Er sagte: „Mich stört, dass man nicht mehr zuhört, weil der vermeintlich Falsche etwas sagt, was aber in der Sache richtig sein könnte.“

Eine Kritik, wie er gegenüber ET bestätigt, die auf den Umgang mit der AfD abzielt. Stefan Grüll:

Die Regierungsbildung wird rechnerisch entschieden. Wahlverlierer addieren Prozente, um das Votum eines Viertels der Wähler auszuschliessen. Abgrenzen tut Not. Ausgrenzen aber ist dumm.“

Die Politik bleibe weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Politik bleibe Antworten schuldig. Die Menschen würden sich nicht mehr ernstgenommen fühlen. Dabei lebe die Demokratie doch davon, dass jeder sich einbringt: „Egal wie, egal wo, solange es im demokratischen Rahmen geschieht, ist jeder und jede herzlich willkommen“, sagt Grüll. Ein solches Signal müssten die Parteien aussenden.

AfD kann „Turbo für die Demokratie“ sein

Die AfD wurde bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg jeweils die zweistärkste Partei. Dabei liege der große Zuspruch nicht am Wahlprogramm der AfD. 50 Prozent der Wähler der AfD würden laut Grüll sagen, dass sie nicht einmal die Position der AfD teilen. Sie hätten die Partei vielmehr gewählt, um den anderen Parteien einen „Denkzettel“ zu verpassen. Das sei das eigentliche Signal des Wahlsonntags, so Grüll. Die AfD-Wähler seien also keine Rechtsextremen, keine Nazis. Der Publizist erklärt:

Diese dümmliche, kurzsichtige, fatale Etikettierung von Wählern, die danach auch noch außen vorgelassen werden, wenn es um die Frage geht: ´Wie organisiert man demokratische Willensbildung im parlamentarischen System`, das ist für mich grenzwertig am Skandal.“

Nach Grülls Einschätzungen könnte die AfD, wenn die Demokraten es in den anderen Parteien begreifen würden, als Turbo für die Demokratie genutzt werden.

Die Chance der FDP ist auch eine der AfD

„Was muss die FDP tun, damit die Partei für die Bürger wieder interessant wird in einer Zeit, in der eine liberale Stimme mehr denn je gebraucht wird,“ fragt Grüll und gibt die Antwort, die gleichzeitig eine Warnung ist: Grüll schlägt vor, dass die FDP Wähler anderer Parteien einlädt – nicht, um diese zu missionieren, sondern um mit ihnen unvoreingenommen zu diskutieren.

Grüll gegenüber ET: Es kommt darauf an, den Wählern anderer Parteien eine Plattform zu bieten und so die Gesprächsstörung zwischen Politik und Bürgern in eine „Gesprächsführung“ umzumünzen“ Dies könne die Funktion für die derzeit nach Meinung der Wähler nicht gebrauchten FDP sein. Er würde sich das wünschen und seiner alten Partei empfehlen.

Allerdings legt Grüll im Gespräch mit ET nach:

Sollte es Meuthen, Gauland und – den Willen unterstellt – Weidel gelingen, die AfD gegen ihre Flügelmänner auf einen konservativen, streng demokratischen Kurs zu bringen, könnte diese Partei zur Gefahr für die FDP heranwachsen; als Anlaufstelle für wertkonservative Liberale und von den ehemals Großen Enttäuschte.“

„Die Wähler gehen zur AfD, nicht weil sie da Antworten erwarten, sondern weil sie das Gefühl haben, dass dort Fragen gestellt werden, die zu lange nicht in der Präzision und Härte gestellt worden sind, um Antworten geben zu können“, sagt Grüll.

Es sei höchste Zeit, die Rituale, die über die Jahrzehnte in allen Parteien Einzug gehalten haben, zu überwinden und den Weg zu unbequemer Wahrheit zu finden.

Grüll zu ET: “Die Menschen erwarten keine Unfehlbarkeit von Politik, nur Anstand und Aufrichtichtigkeit sowie das erkennbare Bemühen, die Probleme der Menschen im redlichen Wettstreit wirklich lösen zu wollen. Das ist Demokratie. Dafür wird die liberale Stimme so dringend gebraucht!“

Brinkmann&König – Schnell aus den Wahlschlappen lernen

TV.Berlin – Der Hauptstadtsender /3.9.2019 veröffentlicht

(sua/rls)



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