Selbstkontrolle oder Freibrief für Denunzianten? Polizei in NRW bekommt 50 Extremismusbeauftragte
Wo verläuft die Grenze zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“? Diese Frage scheint müßig in einer Zeit, in der in Politik und Medien ein Kampf „gegen rechts“ geführt wird, der – bewusst oder unbewusst – schon rein semantisch nicht zwischen freiheitlichen und extremistischen Positionen unterscheidet.
Das Grundgesetz und das Beamtenrecht fordern hingegen klare Trennlinien zwischen verfassungskonform und verfassungswidrig, vor allem bei Hoheitsträgern wie in der Polizei. NRW-Innenminister Herbert Reul richtet dazu nun eine eigene Funktion ein: die des Extremismusbeauftragten.
Verfassungsfeindliche Äußerungen in Chatgruppen
Wie die „Welt“ berichtet, sollen alle 50 Polizeibehörden in NRW künftig mit einem solchen ausgestattet werden. Deren Ausbildung habe Anfang der Woche begonnen.
Anlass dafür waren Berichte aus allen Bundesländern über Fälle von Polizeibeamten, die in Chatgruppen durch extremistische oder rassistische Aussagen aufgefallen waren. Mag das in vielen Fällen gedankenloses Gerede gewesen sein, dem keine tiefere verfassungsfeindliche Überzeugung zugrunde lag, hatten andere einen sehr ernsten Hintergrund. So etwa in Hamm, wo Thorsten W., einem Mitarbeiter der Polizeiverwaltung, die Unterstützung einer mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung zur Last gelegt wird.
Die Extremismusbeauftragten sollen künftig die Möglichkeit haben, die Verfassungstreue von Beamten zu überprüfen, wenn Kollegen ihnen zuvor Anhaltspunkte mitgeteilt haben, die Zweifel begründen.
Imageschäden vorbeugen – aber nicht über jedes Stöckchen springen
Reul versucht mit diesem Schritt, Imageschäden vorzubeugen, die seine Polizei durch weitere Skandale erleiden könnte, und gleichzeitig individuelle Rechte und Freiheiten gegen Bestrebungen zu verteidigen, die solche zum Anlass nehmen könnten, die Freiheit der Rede und des politischen Engagements für Beamte weiter einzuschränken.
Die Beauftragten müssen künftig in der Lage sein, zu beurteilen, ob Äußerungen oder Handlungen von Beamten den Verdacht einer extremistischen Überzeugung und damit mögliche dienstrechtliche Konsequenzen rechtfertigen. In Fällen wie jenem in Hamm dürfte dies kaum Probleme bereiten: Verherrlichung des Nationalsozialismus oder Anschlagspläne, die in WhatsApp-Gruppen ausgebreitet werden, dürften auch ohne vorherige Schulung als Akte erkannt werden, die Handlungsbedarf begründen.
Was den Extremismusbeauftragten hingegen künftig abverlangt wird, ist die Fähigkeit, zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Deutschland abzugrenzen.
Extremismusbeauftragte sollen Radikalismus und Extremismus abgrenzen
Auf der einen Seite steht eine etablierte Politik- und Medienlandschaft, in der ein Bekenntnis, „Antifa“ zu sein, als sozial adäquat gilt, gleichzeitig aber bereits Kritik an der Migrationspolitik wie jene in einer Rede von Torsten Heim (Fernseh-Cop „Toto“) im thüringischen Breitungen beim Truckertreffen im Vorjahr Forderungen nach Disziplinarmaßnahmen auslöst.
Auf der anderen Seite steht eine Verfassung, die auch eine grundlegende Kritik an den politischen Verhältnissen als legitim erachtet, sofern damit keine Infragestellung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbunden ist.
Bei der Auftaktveranstaltung zur Ausbildung der künftigen Extremismusbeauftragten betont entsprechend auch Politikwissenschaftler Thomas Grumke von der Hochschule für Polizei und Verwaltung, dass es deren Verantwortung sei, „Extremismus vom Radikalismus ab[zu]setzen“. Radikale Positionen zu vertreten, sei von der Verfassung erlaubt, diese gehörten „zu unserer Demokratie“, extremistische hingegen nicht – und insbesondere seien diese auch nicht mit der Pflicht zur Verfassungstreue vereinbar.
In diesem Jahr bislang 15 Verdachtsfälle bei Polizei in NRW
Um die Unterscheidung trennscharf vollziehen zu können, sollten den Beauftragten anstelle „statischer Kriterien“ lieber Listen mit „möglichen Indizien“ an die Hand gegeben werden. Dies sei insbesondere mit Blick auf kumulative Anhaltspunkte potenziell von Nutzen. So sei eine AfD-Mitgliedschaft allein, wie auch die Rechtsprechung deutlich macht, „kein Grund, aus dem Staatsdienst entlassen zu werden“.
Im Zusammenspiel mit weiteren Indizien könnte die Sache hingegen schon anders aussehen: So war einer von zwei Beamten aus dem Umfeld des Terrorverdächtigen in Hamm in der örtlichen AfD aktiv gewesen. Bei diesen trafen jedoch zusätzlich noch Kriterien zu, die eindeutig für eine extremistische Gesinnung sprachen.
Inwieweit es tatsächlich ein ausgeprägtes Problem mit Rechtsextremismus in der Polizei NRW gibt, lässt sich möglicherweise aus Angaben von Michael Frücht, dem Direktor des Landesamts der Polizei für Ausbildung und Personalangelegenheiten (LAFP), und von Innenminister Reul selbst herleiten. Frücht sprach von 15 Ermittlungsverfahren im bisherigen Verlauf des Jahres 2020, die gegen Polizeibeamte im Land wegen des Verdachts rechtsextremer Äußerungen geführt würden. In den neun Jahren zuvor waren es demnach insgesamt zehn. Die relative Steigerung könne mit einem Anwachsen der Bereitschaft zusammenhängen, Wahrnehmungen zu melden.
Reul bestätigte gegenüber der „Welt“, dass es bislang in diesem Jahr 15 Verdachtsfälle gäbe. Bei rund 50.000 Polizeibeschäftigten entspricht das etwa 0,03 Prozent.
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