Spahn im Bundestag: 28.000 Intensivbetten werden im Krisenfall nicht ausreichen

„Es ist ein schwerer Spagat“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Situation der Ärzte in Italien. Dort müssten „sehr konkrete und schwierige Entscheidungen“ getroffenen werden.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 11. März 2020

„Das Coronavirus und seine Verbreitung ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) während der Befragung der Bundesregierung. Das träfe nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die Wirtschaft.

Auch wenn für 80 Prozent der Infizierten die Erkrankung sehr milde verlaufe, so zeige ein Blick nach Italien bereits eine Situation, in der sich auch Deutschland bald befinden könnte. Insoweit befinde Spahn sich im engen Austausch innerhalb Europas, besonders mit den italienischen Kollegen.

„Es ist ein schwerer Spagat“, sagte Spahn über die Situation der Ärzte in Italien. Dort müssten „sehr  konkrete und schwierige Entscheidungen“ getroffenen werden. Dort stelle man die Frage: Wer wird beatmet und wer nicht?

In Italien sind bereits über 10.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Operationssäle werden zu Intensivzimmern umfunktioniert, meldet die „Welt“. Immer mehr Ärzte sind selbst durch das Virus betroffen, sodass viele Kollegen ihre Dienstzeiten verlängern und Überstunden schieben müssen.

„Wen wir behandeln und wen nicht, obliegt uns“, sagte ein Arzt eines der größten Krankenhäuser in Mailand. Das könne durchaus zu ethischen Konflikten führen. Dabei sei klar, dass man niemanden benachteiligen wollte, erklärte Luigi Riccioni, Anästhesist und Leiter der Ethikkommission der italienischen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin. Richtlinien sollen nun darüber entscheiden, wie die Mediziner Situationen im Einzelfall beurteilen sollen. „Wir wissen, dass gebrechliche Patienten bestimmte Behandlungen nicht vertragen im Vergleich zu einem sonst gesunden Menschen“, so Luigi.

Probleme in Deutschland absehbar

Und auch in Deutschland sei man sich bewusst, dass man zwar „vergleichsweise“ gut aufgestellt sei, was das Gesundheitssystem angehe. Das bedeute jedoch nicht, dass es keinerlei Engpässe geben werde. Im Gegenteil. Bereits jetzt sei absehbar, dass die 28.000 Intensivbetten im Krisenfall nicht ausreichen. Denn derzeit ist eine Vielzahl der Betten belegt. Man stehe im Wettlauf mit der Zeit. Es gelte, das Virus zu bremsen und Infektionen zu verzögern, sagte Spahn. Notfalls müssten auch Operationen verschoben werden.

Die Grippewelle flache bereits ab in Deutschland. „Wir müssen dem Virus alle Chancen nehmen, sich schnell auszubreiten.“ Aus diesem Grunde habe Spahn die Empfehlung ausgesprochen, Veranstaltungen über 1.000 Teilnehmern abzusagen. Er appellierte an alle Altersgruppen, für die Gesellschaft und die besonders gefährdeten chronisch Kranken und Betagten auf liebgewonnene Gewohnheiten, wie beispielsweise Fußballveranstaltungen zu verzichten.

Im Alltag solle jeder sich so verhalten, dass eine Infektion vermieden werden kann. Jeder wüsste, wie man sich verhalten müsse, wenn jemand in der Familie Grippe hätte. Und genau das ist jetzt gefragt.

Abhängigkeit von China: „Kein guter Zustand“

In einer derartigen Krise würde sich deutlich die Abhängigkeit von China zeigen. Das gelte sowohl für Schutzausrüstungen als auch für Medikamente. Aber die Abhängigkeit zeige sich auch in ökonomischen Zusammenhängen wie beispielsweise in der Autoindustrie. Das sei „kein guter Zustand“, so Spahn. Insofern solle eine europäische Lösung geschaffen werden.

Um eine bessere Betreuung in der Alten- und Krankenpflege zu gewährleisten, sei Deutschland auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Insoweit stehe man im Wettbewerb mit anderen Ländern wie Saudi-Arabien oder auch China, die ebenfalls Personal benötigen. Um die Lücken schneller zu schließen, sollen derzeit die Visa-Verfahren auf sechs Monate verringert werden.

Auch mit Pflegeeinrichtungen wie Altenheimen sei man im Gespräch. Für diese gäbe es Krisenpläne. Für den Fall, dass Pflegekräfte aufgrund von Kontakt mit Verdachtsfällen ausfallen, müsse vor Ort abgewogen werden, was zu tun ist. Nicht alle Mitarbeiter sollten in einem derartigen Fall unter Quarantäne gestellt werden. Sonst könne niemand die Betreuung absichern. In vielen Krankenhäusern gelte daher bereits jetzt, dass Ärzte mit entsprechender Schutzausrüstung weiterarbeiten, solange keine Infektion bestätigt ist.

China unterbreitet Hilfsangebote

Den Vorwurf, dass Deutschland China mit tonnenweise Lieferungen an Schutzmaterial im Wert von mehreren Millionen Euro unterstützt hätte und nun selbst kaum etwas hätte, entkräftete Spahn. Derzeit lägen Angebote aus China vor, Länder mit fehlenden Atemschutzmasken und Beatmungsgeräte zu beliefern. Das gelte besonders für Italien.

Mit der in Deutschland geltenden Exportbeschränkung für Schutzmaßnahmen sollte Händlern zudem Einhalt geboten werden, die Waren aus dem Land zu bringen. Schließlich sollten nicht Geldkoffer darüber entscheiden, wohin die Atemschutzmasken oder Schutzbekleidung gehen.

Das bedeute nicht, dass man andere Länder nicht unterstütze. Wenn genügend Materialien, wie beispielsweise Coronatests, vorhanden seien, gebe man diese weiter. Gleichzeitig habe man vor Augen, dass die Situation sich jederzeit ändern könne.

Situationsabhängige Veranstaltungsverbote

Man müsse unterbinden, dass sich Menschen in den Armen liegen – beispielsweise wenn ein Fußballtor fällt, rechtfertigte Spahn seine Forderung nach der Absage von Großveranstaltungen. Dies würde jedoch nicht bedeuten, dass jede Veranstaltung unter 1.000 Teilnehmern automatisch genehmigt werde. Dabei gelte vielmehr eine individuelle Entscheidung. Eine Tanzveranstaltung mit Hunderten Menschen würde sicher eher abgesagt werden als eine Jura-Prüfung.

Auch die Frage, ob die Militärübung Defender 2020 mit über 37.000 Soldaten aus 19 Ländern, die quer durch Europa ziehen, stattfinden soll, wurde im Kabinett beraten. Laut Spahn wurde besprochen, welche Risiken für Infektionen damit verbunden seien. Nach aktuellen Informationen soll die Nato-Übungen wie geplant stattfinden.

Eine Abgeordnete kritisierte, dass kaum Auskünfte zum Virus in Gebärdensprache vorlägen. Das gelte vor allem auch für die derzeit stattfindenden Pressekonferenzen. Darauf antwortete Spahn: „Wir arbeiten daran.“

Keine Entspannung in Sommermonaten in Sicht

Studien aus den USA deuten darauf hin, dass – anders als vermutet – im Sommer keine Entspannung in Bezug auf Coronavirus-Infektionen in Sicht sei. Experten hatten zuvor im Vergleich mit der Grippewelle den Verdacht geäußert, dass das Virus sich während der wärmeren Monate reduziere. Dies scheint nun nicht mehr so. Umso wichtiger sei daher die Strategie, die Verbreitung zu verlangsamen, sagte Spahn.

Von „pauschalen Grenzschließungen“ halte der Bundesgesundheitsminister jedoch nichts. Davon gehe das Virus nicht weg. Arbeitgeber, die dringend auf ausländische Hilfskräfte – ob im Tourismus oder in der Landwirtschaft – angewiesen seien, sollten bereits jetzt entsprechende Maßnahmen überprüfen, um ihren Betrieb zu gewährleisten. Das ginge beispielsweise mit entsprechenden Hygiene-Vorkehrungen.

Virentests bei Notwendigkeit

Einen Appell richtete Spahn an alle Menschen, die um ihre Gesundheit besorgt sind. Dass sie sich auf das Coronavirus testen lassen wollen, dafür habe er Verständnis. Gleichzeitig würden die Tests nur dann gemacht werden, wenn ein guter Grund bestehe und ein Arzt eine Notwendigkeit sehe.

Wenn man zu Hause symptomfrei auf einen Test warte – beispielsweise weil man eine Kontaktperson eines Infizierten sei –, dann sei niemand gefährdet. In solcher Situation müsse man lernen, „unter Stress zu vertrauen“.

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