Platz- und Personalmangel: Mehr Verdächtige aus U-Haft entlassen

Verdächtige dürfen nicht endlos in Untersuchungshaft festgehalten werden. Das gilt auch bei Mord oder Vergewaltigung. Die Justiz muss Verfahren zügig bearbeiten. Das gelingt nicht immer.
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Deutschlands größte Justizvollzugsanstalt steht in Tegel. Hier ein Wachturm des Gefängnisses.Foto: iStock
Epoch Times12. Februar 2023

Es gibt eine wachsende Zahl von Verdächtigen, die wegen zu langer Strafverfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen. Im vergangenen Jahr kamen bundesweit mindestens 73 Menschen aus diesem Grund frei, wie aus Zahlen des Deutschen Richterbundes hervorgeht, die der „Deutschen Presse-Agentur“ vorliegen.

2021 hatten die Justizverwaltungen der Länder 66 Fälle gemeldet, 2020 waren es 40. Der Richterbund sieht als Ursache für die Entwicklung zunehmend komplexe Strafverfahren ebenso wie einen Personalmangel bei Staatsanwaltschaft und Gerichten.

300 Verdächtige seit 2017 entlassen

In den zurückliegenden fünf Jahren sind den Angaben zufolge mehr als 300 Verdächtige aus der U-Haft entlassen worden, weil die Verfahren zu lange dauerten. Der Verband bezieht sich bei den Angaben auf eine Umfrage der „Deutschen Richterzeitung“ bei den Justizministerien und Oberlandesgerichten der 16 Länder.

Demnach hat Bayern für 2022 die höchsten Zahlen gemeldet. 15 Haftbefehle seien dort aufgehoben worden, weil die entsprechenden Strafverfahren zu lange gedauert hätten. Im Vorjahr seien zehn Verdächtige deshalb aus der U-Haft entlassen worden.

Nach der Erhebung landete Hessen auf Platz zwei mit 13 Fällen im vergangenen Jahr. 2021 habe es dort lediglich drei Fälle gegeben. Berlin meldete nach den Daten der „Deutschen Richterzeitung“ für 2022 wie im Vorjahr neun Fälle, die Berliner Justizverwaltung sprach dagegen für 2021 von acht Fällen.

Nordrhein-Westfalen und Sachsen gaben für 2022 jeweils sechs Fälle an, es folgen Rheinland-Pfalz (fünf) und Saarland (vier). Bremen, Hamburg und Thüringen weisen für 2022 jeweils drei Fälle aus, Baden-Württemberg zwei. Jeweils einen Fall gab es demnach in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Sachsen-Anhalt kam demnach kein Verdächtiger wegen einer zu langen Verfahrensdauer frei.

1.000 Juristen fehlen

Nach Angaben des Richterbundes fehlen der Strafjustiz mindestens 1.000 Juristen. Zugleich würden Strafgesetze komplexer und auszuwertendes Datenvolumen umfangreicher – etwa in Fällen von Kindesmissbrauch, Organisierter Kriminalität oder bei Wirtschaftsdelikten, erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Das habe zur Folge, dass selbst vorrangige Haftsachen nicht immer in den rechtsstaatlich gebotenen Fristen erledigt werden könnten.

„Es braucht eine breit angelegte Investitionsoffensive von Bund und Ländern, um die Justiz personell deutlich zu verstärken und die Digitalisierung in der Rechtspflege zu forcieren“, so Rebehn.

Generell soll eine U-Haft nicht länger als sechs Monate dauern. Eine Verlängerung ist aber möglich, wenn etwa der Umfang der Ermittlungen das rechtfertigt.

Aus dem Bundesjustizministerium hieß es, Entlassungen aus der U-Haft wegen zu langer Verfahren müssten vermieden werden. Die organisatorische Verantwortung dafür liege aber allein bei den Ländern. Das gelte auch für Ausstattung der Justiz. Gleichwohl unterstütze der Bund die Länder in dieser Legislaturperiode in den kommenden Jahren mit bis zu 200 Millionen Euro. In diesem Jahr stünden für die Digitalisierung 50 Millionen Euro zur Verfügung. (dpa/red)



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