Von Helmen zu Kampfpanzern: Wie die Bundesregierung der Kriegslogik folgte (2)

Nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 erklärte Bundeskanzler Scholz die „Zeitenwende": Deutschland stehe nun fest an der Seite Kiews. Nur Kriegspartei wolle man nicht werden. Eine Chronologie der Ereignisse aus deutscher Sicht von April bis Anfang Juni 2022.
Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des FDP-Bundesvorstandes, setzte sich stets für Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des FDP-Bundesvorstands, setzte sich stets für Waffenlieferungen an die Ukraine ein.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 24. Februar 2023

Fortsetzung von Teil I 

Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte die Bundesregierung am 5. April 2022 auf, endlich auch deutsche Panzer in die Ukraine zu liefern. AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla erklärte, dass mit Waffenlieferungen kein Krieg beendet werde.

Am 6. April stellte sich heraus, dass Deutschland im März mehr Gas in Russland eingekauft hatte als noch vor dem Krieg – trotz großer Preiserhöhungen und Sanktionen. Die deutsche Industrie bekannte sich trotzdem weiterhin zum strengen Anti-Russland-Kurs der Regierung. Der Rubel stieg gleichwohl.

Viele Menschen zeigen Solidarität

In Berlin versammelten sich zahlreiche Menschen, um sich zum Zeichen der Solidarität mit der Ukraine auf den Boden zu legen. Der Steuerzahlerbund rechnete mit einer Rekordverschuldung. Bei einer Bestandsaufnahme wurde festgestellt, dass Deutschland nur Bunkerplätze für jeden 78. Einwohner besaß.

Am 10. April wurde bekannt, dass die Ukraine deutsche „Marder“-Schützenpanzer direkt beim Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall einkaufen wollte – und Rheinmetall bereit war, bis Jahresende 35 Stück zu liefern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) plante, gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Andrzej Duda und den baltischen Präsidenten nach Kiew zu reisen – doch Selenskyj lehnte es wegen Steinmeiers früherer Russland-Politik ab, ihn zu empfangen.

Stattdessen brachen FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann, der SPD-Außenpolitiker Michael Roth und der grüne Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, zu einer Reise zu ihren ukrainischen Parlamentskollegen auf. In Deutschland erreichte die Inflation mit sieben Prozent den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung.

Grüne jetzt für Kampfpanzer-Lieferungen

Am 12. April erklärte Außenministerin Annalena Baerbock, sich nun auch für die Lieferung schwerer Waffen einzusetzen. „Der erste Leopard 1 könnte in sechs Wochen geliefert werden“, hieß es von Rheinmetall. Auch Wirtschaftsminister Habeck war von der Idee angetan. Der Grüne Anton Hofreiter machte ebenfalls Druck gegen Kanzler Scholz – denn der schloss derartige „Alleingänge“ aus. Und erntete dafür den wachsenden Unmut aus Osteuropa.

In der SPD sorgte die Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen für Kontroversen. FDP-Justizminister Marco Buschmann sprach sich dafür aus.

Auf Ostermärschen wurde gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung protestiert. Was die Neuverschuldung Deutschlands anbelangte, deuteten neue Berechnungen auf nunmehr 135 Milliarden statt nur 100 Milliarden Euro hin. Wirtschaftsminister Habeck lehnte eine eigene Gasförderung per Fracking ab. Die Zahl der frühzeitigen Wehrdienstabbrüche in Deutschland wies unterdessen einen deutlichen Anstieg aus.

CDU machte Druck für schwere Waffen

Am 19. April erklärte CDU-Chef Friedrich Merz, dass es „jenseits von SPD, AfD und Linkspartei“ eine Mehrheit im Bundestag für die Lieferung schwerer Waffen gebe: „Der offen ausgetragene Streit in der Koalition um die Waffenlieferungen in die Ukraine schadet dem Ansehen unseres Landes in der ganzen Welt“. Die Unionsfraktion drohte, selbst einen Antrag im Bundestag einzubringen. Am 25. April setzte die Union die Ankündigung in die Tat um.

Druck gegen die SPD-Spitze kam wieder einmal von Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk. Kanzler Scholz reagierte, indem er der Ukraine nahelegte, sich die gewünschten Waffen doch direkt bei deutschen Herstellern zu bestellen: Die Bundesregierung werde die Rechnung übernehmen. Außenministerin Baerbock mahnte zur Dringlichkeit, „unsere Energieimporte von Russland ein für alle Mal zu beenden“.

Scholz sagt Ja zum „Ringtausch“

Am 20. April lockerte Olaf Scholz seine Blockadehaltung zu schweren Waffen teilweise auf. Das begehrte Kriegsgerät solle aber nicht aus Deutschland kommen. Bei der Finanzierung, bei einem „Ringtausch“ oder in Sachen Ausbildung sei er aber gerne behilflich. Die Bundeswehr habe ohnehin keine Kapazitäten mehr übrig, erklärte der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Markus Laubenthal.

Am 22. April kündigte die Bundesregierung an, rund 37 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Ukraine bereitstellen zu wollen. „Ich bin sehr froh darüber, dass wir einen Kanzler haben, der die Sachen durchdenkt und sich mit den internationalen Bündnispartnern eng abstimmt“, sprang SPD-Chef Lars Klingbeil Scholz zur Seite.

FDP und Grüne fordern schwere Waffen

FDP-Vize Wolfgang Kubicki und Grünen-Parlamentarier Anton Hofreiter kritisierten Scholz für seinen zögerlichen Kurs bei der Lieferung schwerer Waffen. Der Kanzler wehrte sich: Es dürfe unter keinen Umständen zu einem Atomkrieg kommen. Am 24. April unterstütze auch der FDP-Parteitag offiziell die Forderungen nach schwerem Kriegsgerät für die Ukraine. Moskau reagierte mit der Ausweisung 40 deutscher Diplomaten.

Am 26. April reichte Rheinmetall einen Genehmigungsantrag zur Ausfuhr von 88 Kampfpanzern des Typs Leopard an die Ukraine bei der Bundesregierung ein. Zugleich gab Bundesverteidigungsministerin Lambrecht bei einem Treffen in Ramstein grünes Licht für den Export schwerer Waffen aus Deutschland in die Ukraine: Gebrauchte Flugabwehrpanzer des Typs Gepard aus der Schmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) wären erlaubt. Ende April erhob sich Widerstand gegen das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro aus den Reihen der Grünen-Basis.

Melnyk: Deutschland längst Kriegspartei

Am 1. Mai riet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Bürgern in Deutschland, sich für den Krisenfall zu wappnen. Der ukrainische Botschafter Melnyk erklärte, Deutschland sei längst zur Kriegspartei geworden. Scholz sah das anders: Er erklärte, seine Entscheidungen stets in Abstimmung mit den Verbündeten zu treffen.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (PDF) des Bundestages war bereits Mitte März zu dem Schluss gelangt, dass selbst „die Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Deutschland an Waffensystemen weiterhin keinen direkten Kriegseintritt“ bedeute. „Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen“. Justizminister Marco Buschmann sah das kurze Zeit danach weit lockerer.

Ebenfalls Anfang Mai erläuterte Kanzler Scholz im ZDF seine Kriegsphilosophie: „Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine darf nicht verlieren“. Tags darauf erhöhte CDU-Chef Friedrich Merz den Druck auf den Kanzler: Er riet ihm, einmal persönlich in die Ukraine zu reisen. Die Einladung Selenskyjs für Scholz und den kurz zuvor ausgeladenen Frank-Walter Steinmeier für den 9. Mai folgte auf dem Fuß.

Steinmeier spricht vom „Epochenbruch“

Am 8. Mai – dem Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkrieges – sprach Präsident Steinmeier über den „Epochenbruch“, den Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst habe. Kanzler Scholz schlug ähnliche Töne an. Frankreichs Präsident Macron warb derweil für einen „Frieden ohne Demütigung Russlands“.

Am 10. Mai machte sich Außenministerin Baerbock als erstes deutsches Regierungsmitglied in der Ukraine ein Bild von den Zerstörungen und sicherte weiter breite Unterstützung zu. Deutschland werde auch „die internationalen Ermittlungen – allen voran die des Internationalen Strafgerichtshof – politisch, finanziell und mit deutschem Personal unterstützen.“ Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) forderte mehr Tempo beim EU-Beitritt der Ukraine.

Der 13. Mai bescherte Kanzler Scholz erneut viel Gegenwind: Seine Ankündigung, mit Wladimir Putin telefonieren zu wollen, rief bei Unionspolitiker Florian Hahn (CSU) Ärger hervor. Rheinmetall-Chef Armin Papperger beschwerte sich über die noch immer nicht erteilten Genehmigungen zum Export von Kriegsmaterial. Das pazifistische Bündnis „Rheinmetall entrüsten!“ protestierte kurz darauf vor der Rheinmetall-Zentrale.

Skandal um Lambrechts Sohn

Am 14. Mai geriet Verteidigungsministerin Lambrecht in die Bredouille: Nachdem sie ihren Sohn im Militärflugzeug mit zu einem Truppenbesuch genommen hatte, forderten einer Umfrage zufolge 55 Prozent der Menschen in Deutschland ihren Rücktritt. Das Verteidigungsministerium hielt dagegen, dass mit dem Beginn des Krieges das Interesse der Bevölkerung an der Bundeswehr und ihren Informationsangeboten massiv zugenommen habe.

Das russische Außenministerium wehrte sich Mitte Mai gegen die Behauptung von Außenministerin Baerbock, nach der Moskau die Verantwortung für die hohen Lebensmittelpreise und die Gefahr einer weltweiten Hungerkrise trage. Es handele sich um „Dummheit oder bewusste Irreführung“, denn die negativen Folgen gingen in Wahrheit auf die westliche Sanktionspolitik zurück. Die deutschen Waffenlieferungen liefen derweil weiter – allerdings noch ohne schweres Gerät. Dafür machte sich CDU-Chef Merz am 18. Mai erneut stark.

Scholz: Panzer ja, Eskalation nein

Tags darauf versprach Kanzler Scholz Tschechien Panzer aus deutschen Industriebeständen – zum Ausgleich für die schweren Waffen, die Prag an die Ukraine liefern wollte. Bei seiner Regierungserklärung vom 19. Mai rechtfertigt der Kanzler die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine als einen Beitrag, um den Krieg zu beenden. „Darin liegt keine Eskalation“, so Scholz. Die ersten 15 Gepard-Flugabwehrpanzer aus Beständen der deutschen Industrie sollten im Juli in der Ukraine eintreffen. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten dafür habe begonnen und sei im Juni abgeschlossen.

Ende Mai war der innenpolitische Streit um die geplanten Milliarden für die Bundeswehr noch immer ungelöst. Die Chefin der Linken, Janine Wissler, übte scharfe Kritik am Bundeswehr-Sondervermögen überhaupt. Dem Reservistenband kamen die 100 Milliarden dagegen bei Weitem zu wenig vor.

Wirtschaftsminister Habeck gab zu bedenken, dass Berlin nicht alle Wünsche der Ukraine erfüllen könne. FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann schlug vor, die Bundeswehr an einem neuen Feindbild neu auszurichten.

Am 1. Juni scheiterte der Wirtschaftsplan des Bundeswehr-Sondervermögens vorerst am Widerstand der Union: Die Zeit für die Prüfung der Vorhaben im Wert von 100 Milliarden Euro sei zu kurz gewesen. Die Bundesregierung schränkte die Informationsrechte des Bundestags zu Waffenexporten in die Ukraine ein: Nur noch wenige Abgeordnete sollen wissen, mit welchen Waffen die Ukraine beliefert werde.

Fortsetzung auf Teil III



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