Schifffahrt fährt bei „grünen“ Kraftstoffen hinterher

Neben Autos und Strom sollen auch Produkte und ihr Transport grün werden. Die Schifffahrt spielt dabei eine große Rolle. Emissionsfreie und heute bereits verfügbare Antriebe scheitern bislang jedoch nicht nur an den Dimensionen.
Die deutsche Schifffahrt hat in den vergangenen zehn Jahren rund ein Drittel der Flotte eingebüßt.
Die Dekarbonisierung der Schifffahrt könnte funktionieren, wenn gesellschaftliche Vorurteile beseitigt werden.Foto:  Angelika Warmuth/dpa
Von 23. Februar 2023

Schiffe transportieren weltweit etwa 90 Prozent aller Waren und sind für etwa drei bis vier Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. So soll auch die Schifffahrt im Rahmen der Klimamaßnahmen „grün“ werden.

So ist unter anderem der „Wirtschaftsverband Fuels and Energy e.V.“ überzeugt, „eine klimaneutrale Schifffahrt ist technisch machbar“. In einer Untersuchung des Forums für Maritime Technologien hingegen schnitten Bio-Methanol und grünes Ammoniak zwar hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltauswirkungen besser ab, in „weiteren Schlüsselkategorien“ erhielten sie aber eine schlechtere Bewertung. Sie sind jedoch bei Weitem nicht die einzigen Optionen, Schiffe grüner zu machen. Das wissen auch die Reedereien, von denen unterschiedliche Signale kommen.

Dass die Schifffahrt – unabhängig vom eingesetzten Verfahren – vor einer Mammutaufgabe steht, verdeutlicht indes ein Rechenbeispiel: Nutzt man den gesamten Energieverbrauch Deutschlands zur Herstellung „grüner“ Kraftstoffe, können damit 200 große Schiffe fahren – während sämtliche Einwohner und Firmen Deutschlands im Kalten und Dunklen sitzen.

Viele Lösungen, keine überzeugt

„Wir warten immer noch darauf, dass die Motoren- und Schiffsbauer echte grüne Lösungen vorlegen“, erklärte Haralambos Fafalios, Vorsitzender der griechischen Reederei GSCC, Mitte Januar in London. Mit anderen Worten, die bisher verfügbaren Konzepte sind in der Branche umstritten.

Dabei ist der Kernpunkt der Diskussion um erneuerbare Kraftstoffe der gleiche wie bei der Stromversorgung an Land: Versorgungssicherheit. Denn bisher verfüge „keiner dieser alternativen, grünen, kohlenstofffreien oder kohlenstoffarmen Kraftstoffe [über] eine globale Bunker- oder Kosteninfrastruktur zur Versorgung der Weltflotte“.

Aufgrund dieser Mangellage haben Reedereien eigenen Kraftstoffprojekte gestartet. So kündigte der Containerriese Maersk Ende 2022 an, ein Milliardenprojekt in Zusammenarbeit mit der spanischen Regierung an. Ziel sei die Produktion von zwei Millionen Tonnen „grünem“ Kraftstoff pro Jahr am Standort Spanien. Es geht um eine Investitionssumme von knapp zehn Milliarden Euro. Eine ähnliche Kooperation schloss Maersk zuvor mit Ägypten. Grund dafür sind knapp 20 Schiffe, die Maersk mit Methanol betreiben möchte.

Im Vergleich zur über 100.000 Schiffe starken Weltflotte ist das jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. MAN Energy Solution beziffert den Verbrauch allein von Methanol im Jahr 2050 auf 225 Millionen Tonnen. Demgegenüber steht eine Jahresproduktion von bislang rund 98 Millionen Tonnen Methanol, das auch in anderen Branchen begehrt ist, einschließlich der Luftfahrt, Chemie und Pharmazie.

Ringen um begehrte Kraft- und Rohstoffe

Selbst wenn es gelingt, sich auf eine Lösung zu verständigen oder parallele Infrastrukturen aufzubauen, ist die Aufgabe unvorstellbar groß. So untersuchte Professor Jan Emblemsvåg von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie den Energieverbrauch von über 580 großen Containerschiffen.

Auf der Strecke Shanghai – Amsterdam verbraucht ein solches Schiff im Schnitt bisher 8.400 Tonnen Kraftstoff mit einem Energiegehalt von etwa 84 Gigawattstunden (GWh). Aufgrund des geringen Energiegehalts entspricht das 18.100 Tonnen Ammoniak. Bei der Herstellung aus grünem Wasserstoff sind bereits etwa 190 GWh nötig. Das ist mehr als das Doppelte von Marinediesel.

Bei zwölf Fahrten im Jahr summiert sich das auf 2,2 TWh und entspricht etwa dem Jahresverbrauch einer halben Million britischer Haushalte, rechnet Prof. Emblemsvåg vor. Nutze man den gesamten in Großbritannien erzeugten Windstrom ausschließlich zur Herstellung von grünem Ammoniak für die Schifffahrt, könnten immerhin 30 große Containerschiffe fahren. Der gesamte deutsche Energiebedarf reicht immerhin für etwa 200 Containerschiffe. Tanker und Massengutfrachter müssten allerdings im Hafen bleiben.

MAN schätzt, dass Schiffe 2050 etwa 300 Millionen Tonnen Ammoniak benötigen werden, zusätzlich zu den 225 Tonnen Methanol und 260 Millionen Tonnen anderer Kraftstoffe. Ammoniak wird jedoch ebenfalls in der chemischen Industrie benötigt und stünde nur in begrenzter Menge dem Transportwesen zur Verfügung. Zudem gilt er laut Fafalios „als sehr gefährlicher Brennstoff, [für den] noch nicht genügend Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden, um ihn zu einer realistischen Option zu machen“. Das wiederum trifft auch auf weitere Kraftstoffe und -gemische zu.

Insgesamt bewerben viele Unternehmen, egal ob Schifffahrt oder Rohstoffhandel, „die Stärken ihrer bevorzugten Kraftstoffe“, fasst Fafalios die Situation zusammen. „Aber bisher hat noch keines einen echten grünen Fußabdruck auf Well-to-Wake-Basis“. Letzteres beschreibt die Emissionen „vom Brunnen bis zur Welle“, also von der Förderung oder Herstellung der Kraftstoffe bis zur Nutzung im Schiff.

Langsam und unstetig …

Grüne Kraftstoffe sind jedoch nicht die einzige Methode, die Schifffahrt zu dekarbonisieren. Zu den alternativen Antriebsmethoden gehören auch Kernreaktoren und sogar die Rückkehr zu Segeln.

Der Windantrieb blickt dabei auf eine Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bewährte Tradition zurück, sein größter Nachteil ist die Langsamkeit und Unzuverlässigkeit. Wartezeiten von mehreren Wochen waren für Seeleute in der Vergangenheit keine Seltenheit und– glaubt man den Seemannsliedern – wurden oft mit Rum begossen. Verzögerungen, insbesondere unvorhersehbare, sind aber für moderne Lieferketten eine schier unüberwindbare Hürde.

Heute findet der Windantrieb in Form verschiedener Segel oder Drachen bereits Verwendung auf Schiffen, im Regelfall jedoch nur als Zusatzantrieb neben konventionellen Motoren. Vorausgesetzt der Wind weht (und in die passende Richtung), können Schiffe dadurch wenige Prozent Kraftstoff und Emissionen sparen. Völlig ohne Emissionen sind heute selbst große Segelschiffe nicht unterwegs. Für die Bordelektronik, für Gäste oder während Hafenliegezeiten müssen Dieselgeneratoren den Wind ersetzen.

… oder teuer und unerwünscht

Auch Kernkraft ist für die Schifffahrt kein neues Thema. Hat die Debatte um verlängerte Laufzeiten für Kernkraft das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, fahren Teile der britischen und US-amerikanischen Marine seit Jahrzehnten nuklear – ohne nennenswerte Zwischenfälle. Auch Handelsschiffe fuhren in der Vergangenheit mit Kernreaktoren. Heute wird diese Technologie ausschließlich vom Militär genutzt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Geringe Ausfallzeiten, hohe Reichweite und Geschwindigkeit – und aufs Geld muss man nicht so genau schauen.

Ein von dem norwegischen Schiffbauunternehmen Ulstein entwickeltes Konzept bringt diese Antriebsform auch für Kreuzfahrtschiffe ins Gespräch. Für Prof. Emblemsvåg sind Kernreaktoren sogar die „bislang geeignetste und möglicherweise einzige Art des emissionsfreien Schiffsbetriebs“. Dabei besteht das Ulstein-Konzept gleich aus mehreren Schiffen und Schiffstypen: Ein Kraftwerksschiff „Thor“ – ausgestattet mit einem Thorium-Salz-Reaktor der neusten Generation – und bis zu vier Batterie-elektrische Kreuzfahrtschiffe. Auf diese Weise könnte „Thor“ jedoch auch Frachtschiffe oder sogar Städte versorgen.

Diese Reaktoren sind aufgrund ihrer Bauart in sich sicher, Vorfälle wie in Tschernobyl oder Fukushima damit ausgeschlossen. Völlig risikofrei ist ihr Einsatz auf See nicht, das trifft jedoch auch auf alle anderen Motoren zu.

Schifffahrtsökonom Dr. Martin Stopford sieht in der Kerntechnik weitere Vorteile: Schiffe bräuchten weder gigantische Tanks noch häufige Tankstopps. Neue Milliarden-Dollar teure Infrastruktur an Land sei daher nicht erforderlich. Allerdings gebe es einen entscheidenden Nachteil: Obwohl Befürworter die Technik immer wieder erklären, würden Kernkraftgegner sie weiterhin ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Reaktortypen und der technischen Entwicklung der letzten 60 Jahre kategorisch ablehnen.

Auch für Prof. Emblemsvåg ist die Dekarbonisierung der Schifffahrt vor allem ein gesellschaftliches Problem. Da keiner der grünen Kraftstoffe die benötigten Energiemengen bereitstellen kann, muss zunächst für Technologieoffenheit gesorgt werden. Erst wenn die Vorurteile gegenüber der Kernenergie beseitigt seien, könne man realistische Lösungen entwickeln und diskutieren.



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