Kein Fortschritt beim „Abwehrschirm“ – Bund und Ländern läuft die Zeit davon

Die ersten Bund-Länder-Beratungen zum geplanten „Abwehrschirm“ blieben ergebnislos. Die Union vermisst konkrete Konzepte für das 200-Milliarden-Paket.
Titelbild
(Links nach rechts) Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, Bundeskanzler Olaf Scholz und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wuest bei einer Pressekonferenz nach Ministerpräsidentenkonferenz am 4. Oktober 2022 in Berlin.Foto: MICHELE TANTUSSI/AFP via Getty Images
Von 5. Oktober 2022

Der von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte „Doppelwumms“ ist am Dienstagabend (4. Oktober) ausgeblieben. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hat unter seiner Leitung über mehrere Stunden im Kanzleramt über den sogenannten Abwehrschirm beraten. Konkrete Ergebnisse über Finanzierung oder Details des angekündigten 200-Milliarden-Hilfspakets blieben jedoch aus.

Expertenkommission soll nächste Woche Vorschläge präsentieren

Der „Abwehrschirm“ soll Verbraucher und Unternehmer vor den Folgen der explodierenden Energiepreise schützen. Sein Kern soll eine Preisbremse für Strom und Gas sein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte, das Paket müsse bereits im Oktober greifen. Sein Amtskollege aus NRW, Hendrik Wüst, erklärte, das Vorhaben bleibe auch nach den Beratungen eine „Wundertüte“.

Immerhin hat der Kanzler jedoch bereits angekündigt, eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission werde am kommenden Wochenende einen Vorschlag vorlegen. Scholz zeigte sich optimistisch, nächste Woche werde es erste Ergebnisse geben, die „sofort“ veranlassbar wären. Die dort präsentierten Ansätze sollen vor allem die Gaspreisbremse zum Gegenstand haben.

Eine weitere MPK unter seiner Beteiligung werde es jedoch erst nach dem 27. Oktober geben. Für diesen Tag wird die Bekanntgabe der Steuerschätzung erwartet. Bis dahin soll es auch mehr Klarheit bezüglich der Einzelheiten zur Wirkung der Energiepreisbremsen geben.

Kommunalverbände fordern Tempo beim „Abwehrschirm“

Kommunalpolitiker und Verbandsfunktionäre drängen die Verantwortlichen in Bund und Ländern unterdessen zu zügigerem Vorgehen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, machte deutlich:

Die Zeit drängt, der Winter steht vor der Tür.“

Der geplante Abwehrschirm sei „ganz wichtiges Signal in unsere Gesellschaft, dass wir durch die Krise kommen“. Mit ihm sei die Hoffnung auf einen wichtigen Beitrag gegen Inflationsdruck und die immer greifbarer werdende Gefahr einer schweren Rezession verbunden. Dies setze jedoch voraus, dass den Ankündigungen „schnell die notwendigen Taten folgen“.

In ähnlicher Weise hat sich der Deutsche Landkreistag geäußert. Dessen Präsident Reinhard Sager sagte am Mittwoch dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND):

Die Preisdeckel für Strom und Gas müssen so schnell wie möglich kommen.“

Dass die damit verbundenen Markteingriffe durchdacht sein müssten, sei nachvollziehbar. Allerdings schrumpfe die Zeit für die Umsetzung Tag für Tag.

Ökonomen erwarten keine schnelle Erleichterung

In der ARD-Sendung „Maischberger“ äußerten sich auch die Ökonomen Marcel Fratzscher (DIW) und Hermann-Josef Tenhagen („Finanztip“) über den geplanten „Abwehrschirm“. Die Gaspreisbremse bezeichnete Fratzscher dabei als „kein ideales Instrument“. Sie werde nichts daran ändern, dass es für viele Unternehmen „nicht reichen wird“. Die Wirtschaft werde einen Einbruch erleiden, weil die Nachfrage der Verbraucher unter den hohen Energiekosten leiden werde.

Es gebe „keine gute Lösung“, erklärte der DIW-Chef, allerdings sei auch ein Aussitzen der Krise keine Option. Er plädierte für Direktzahlungen an Unternehmer und Verbraucher als verhältnismäßig geringstes Übel, allerdings bleibe die Knappheit ein grundsätzliches Problem.

Aus seiner Sicht müsse der Staat „jetzt massiv in die Transformation“ hin zu erneuerbaren Energien investieren. Zudem müsse Deutschland „massiv Gas einsparen“. Die Inflation werde, so Fratzscher, auch im kommenden Jahr noch nahe an der Zehn-Prozent-Marke liegen. Tenhagen plädierte bezüglich der Hilfsmaßnahmen für eine „pauschale Lösung pro Kopf“. Es sei aber ungewiss, ob diese schon im kommenden Jahr oder erst 2024 greifen könne.

Scholz: Bund wird am „Abwehrschirm“ den Löwenanteil stemmen

Unbeantwortet blieben am Dienstag jedoch auch andere offene Fragen. So ging es auch um Modalitäten rund um das dritte Entlastungspaket mit einem Umfang von etwa 65 Milliarden Euro. Bund und Länder konnten sich bislang zwar auf einzelne Maßnahmen wie eine Kindergelderhöhung einigen.

Unklar bleibt jedoch nach wie vor die Finanzierung von Vorhaben wie der geplanten Sonderzahlung von 200 Euro an Studierende oder das erhöhte Wohngeld. Dieses soll um durchschnittlich 190 Euro anwachsen und etwa 1,4 Millionen Bürger mehr als bisher erreichen.

Offen bleiben zudem Fragen rund um das Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket und für die Bewältigung steigender Flüchtlingszahlen. Neben Hunderttausenden Geflüchteten aus der Ukraine steigt auch die Zahl der Asylanträge aus anderen Herkunftsländern erneut an.

Die Länder fordern einen höheren Anteil des Bundes an der Finanzierung der noch offenen Maßnahmen. Zudem warf NRW-Ministerpräsident Wüst dem Bund fehlende Kompromissbereitschaft vor. Kanzler Scholz erwiderte, das Gesamtvolumen aller geplanten Entlastungsmaßnahmen werde sich auf insgesamt 295 Milliarden Euro belaufen. Davon werde der Bund „knapp 240, 250 Milliarden Euro auf seine Kappe nehmen und finanzieren“.

(Mit Material von dpa und dts)



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