Forscher: COVID-19 ist keine reine Lungenkrankheit, sondern eine systemische Gefäßerkrankung

Bislang sind Ärzte davon ausgegangen, dass es sich bei COVID-19 um eine reine Lungenerkrankung handelt. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Frank Ruschitzka brachte jetzt neue Erkenntnisse. Sein Fazit: Der Erreger ist hochaggressiv und greift uns da an, wo unser Körper am schwächsten ist.
Epoch Times27. April 2020

Der deutsche Arzt und Wissenschaftler Professor Frank Ruschitzka hat mit seinem Forschungsteam neuste Erkenntnisse über COVID-19 nach der Durchführung einer Reihe von Autopsien gewonnen. Er ist Leiter des Universitären Herzzentrums in Zürich. In einem krone.tv-Interview mit Katia Wagner stellt er seine Ergebnisse vor.

Anders als bisher angenommen, handelt es sich laut Ruschitzka bei COVID-19 nicht um eine reine Lungenerkrankung, sondern um eine systemische Gefäßerkrankung, die alle Organe betreffen kann. Das erkläre seiner Ansicht nach, dass es während eines schwerwiegenden Krankheitsverlaufs nicht nur zu Lungenversagen, sondern auch zu akutem Herz-, Nieren oder Darmversagen kommen kann. Die Todesursache sei nicht bei allen Patienten gleich.

Die Lunge ist der Hauptschauplatz

„Die Lunge ist der Hauptschauplatz“, sagt Ruschitzka. Aber auch die Gefäße an allen Organen des Körpers können vom Virus angegriffen werden. Gerade das führe bei der künstlichen Beatmung zu Schwierigkeiten. Wenn die umliegenden entzündeten Gefäße kein Blut mehr zur Lunge transportierten, könne auch der zugeführte Sauerstoff nicht mehr über das Blut in den Körper gebracht werden. Das sei etwas, was den Forschern bislang eher unbekannt war.

Gleichzeitig greife der Erreger SARS-CoV-2 die Gefäße der Niere, des Darmes oder des Herzens an, was akutes Nierenversagen oder Darminfarkte erkläre, sagt Ruschitzka. Auch das Gehirn werde angegriffen.

Die Entzündung lässt die kleinen Gefäße verenden, so dass die Versorgung der Organe nicht mehr gewährleistet wird und das betreffende Organ abstirbt. Das passiere unabhängig von der Lungenentzündung und sei anders, als was man von der Lungen-Pneumonie her kenne, so Ruschitzka.

SARS-CoV-2 ist hochaggressiv

Ruschitzka hält den Erreger für äußerst hochaggressiv und gefährlich:

Das Virus attackiert uns dort, wo es uns besonders weh tut. Es attackiert uns in den Gefäßinnenschichten. Das ist unsere Verteidigungslinie. Es ist so, als wenn sie einen Spion in ihr Verteidigungszentrum einschleusen“.

Wenn sich der Virus in den ersten sieben bis neun Tagen im Körper verbreite, spüre der Infizierte das oftmals nicht. Aber dann kann es plötzlich zu Komplikationen kommen, sagt der Experte.

Diese Erkenntnisse hätten jedoch auch etwas Gutes an sich. Es sei den Medizinern jetzt klarer, dass es bei der Behandlung der Patienten vor allem darum gehen müsse, die Gefäße der Patienten zu schützen.

Jüngere Menschen kämen laut Ruschitzka in der Regel gut mit dem Virus zurecht. Allerdings geben es auch da keine Garantien. Es hänge von der Verfassung der Gefäße eines Menschen ab.

Duales Behandlungskonzept

Für die Behandlung setzt Ruschitzka künftig auf ein duales Behandlungskonzept. Im ersten Schritt müsse versucht werden, die Verbreitung des Virus mit Medikamenten zu hemmen.

Zudem müssten Risikopatienten mit hohem Blutdruck oder Herzerkrankungen medikamentös so eingestellt werden, dass sie körperlich so fit wie möglich werden, damit der Körper bei einer Infektion leichter mit dem Virus fertig wird. Dabei könne sich der Arzt gut vorstellen, dass Cholesterin-Hemmer helfen.

Es gibt eine Reihe Medikamente, mit denen man Gefäßerkrankungen gut behandeln kann, sagt Ruschitzka. Er sei da sehr zuversichtlich, dass es in den nächsten Wochen neue Erkenntnisse gibt.

Impfung kann, aber muss nicht kommen

Zur Impfung äußert sich Ruschitzka verhalten. Es sei noch zu früh, davon zu sprechen. Im günstigsten Fall geht der Arzt von einem Impfstoff Anfang des Jahres 2021 aus, aber auch das sei nicht sicher.

„Jetzt warten wir mal ab. Ich bin da optimistisch“, sagt er. „Allerdings müssen Impfungen getestet werden und wenn wir Skeptiker überzeugen wollen, müssen wir auf Sicherheit setzen.“

„Wir können nicht nur auf die Impfung bauen“, sagt der Experte weiter. „Für HIV gibt es auch keine Impfung, sondern wir haben es behandelbar gemacht. Wir müssen das Virus behandelbar machen.“

Von einer Pflichtimpfung hält Ruschitzka nicht so viel: „Man kann es nur empfehlen.“ Im letzten Dezember und Januar vor COVID-19 habe er viele Influenza-Tote gesehen. Seiner Ansicht nach würden sich die Widerstände von Impfgegnern allmählich abbauen. (nh)



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