Plastik auf dem Speisezettel – Enzyme sollen Abfallproblem verdauen
Was machen wir mit dem weltweit zunehmenden Plastikabfall? Mit dieser Frage beschäftigt sich unter anderem Yannick Branson in einem Labor der Universität Greifswald. Ähnlich wie bei der Verdauung von Lebensmitteln könnten Enzyme Plastik in seine Bestandteile zersetzen, ist der Forscher überzeugt.
Und er hält den Beweis praktisch in den Händen: unspektakulär aussehende Schaumstofffetzen aus einem alten Kissen in der einen und ein Röhrchen mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit in der anderen.
„Das ist tatsächlich im Moment ein sehr verbreitetes oder heißes Thema“, sagt der Doktorand am Institut für Biochemie der Uni Greifswald. Er ist Teil eines Teams, das drei Enzyme gefunden hat, die Polyurethan (PU) in seine Bestandteile zerlegen können. Polyurethan kommt unter anderem in Matratzen und Kissen, Dämmstoffen, aber auch Turnschuhen vor.
Enzyme „verdauen“ Polymere
Die Kunststoffe bestehen aus Molekülketten, sogenannten Polymeren. Wenn man diese in ihre Einheiten zerlege, lassen sich daraus neue Kunststoffe herstellen. Zwar gibt es bereits chemische Verfahren, um den Kunststoff Polyurethan zu zersetzen. Diese benötigen aber hohe Temperaturen und hohen Druck, so die Forscher. Beides ist mit einem entsprechenden Energiebedarf verbunden. Die nun entdeckten Enzyme schaffen den Abbau unter sogenannten milden Bedingungen, bei Normaldruck und bei Temperaturen bis etwa 40 Grad.
Der erste Schritt ist eine chemische Vorbehandlung, nach der sich das Material in die etwas unappetitlich aussehende Flüssigkeit wandelt. Davon kann laut Branson ein Teil direkt wiederverwendet werden. Ein anderer Teil wird durch die Enzyme in seine Grundbausteine zersetzt. „Insgesamt wurden also die Weichen gestellt für ein vollwertiges Recycling.“
Enzyme seien bei allen Lebewesen – egal ob Mensch, Tier, Pflanze, Pilz oder Bakterium – für den Stoffwechsel zuständig, erklärt Uwe Bornscheuer, der in Greifswald die Arbeitsgruppe Biotechnologie und Enzymkatalyse leitet. Sie zerkleinerten unser Frühstück, indem sie etwa Stärke, Fette und Proteine abbauten. „Und wir können die eben nutzen im Bereich Biotechnologie.“ Das Prinzip könne man auf Kunststoffe übertragen.
„Es sind zwei wichtige Vorteile“, erklärt Bornscheuer. „Ich spare Energie für das Verfahren und gleichzeitig habe ich guten Zugang zu den Bausteinen, sodass ich ein Recycling des Kunststoffs erzielen kann.“
Sechser im Lotto – mit drei „Zahlen“
Die von seinem Greifswalder Team gefundenen Enzyme vergleicht er mit der Stecknadel im Heuhaufen. Etwa zwei Millionen Kandidaten hatten die Forscher nach eigenen Angaben durchgetestet. Drei weitere Recycling-Enzyme fand die Gruppe kürzlich auch für Polyvinylalkohole (PVA), die etwa als Folien für Verpackungen genutzt werden.
Anders als bei PU gibt es für den Abbau von PVA jedoch bislang keine ausgereiften Verfahren. Sowohl die Ergebnisse mit PU als auch PVA erschienen im Fachjournal „Angewandte Chemie“.
Man sei in Greifswald sehr fleißig bei der Enzymsuche gewesen, lobt Christian Sonnendecker vom Institut für Analytische Chemie der Universität Leipzig. Sonnendecker selbst beschäftigt sich mit einem Stoff, der aus dem Alltag in Form von Plastikflaschen, Folien oder anderen leichten Verpackungen bekannt ist: PET (Polyethylenterephthalat).
Mit seinem Team entdeckte er ein Enzym, das PET besonders schnell zersetzen kann. Fündig wurden sie auf einem Friedhof. Dort hatten die Wissenschaftler gezielt Proben von Laubkompost genommen und fanden in einer davon den Bauplan des Enzyms PHL7, das PET im Labor in Rekordgeschwindigkeit zersetzte.
Jedes Jahr 20 Millionen Tonnen mehr
In Leipzig will man nach eigener Aussage die eigenen Forschungsergebnisse im Rahmen eines Start-ups nutzen. „In den kommenden zwei bis drei Jahren soll ein Prototyp entstehen, der es erlaubt, die ökonomischen Vorteile ihres schnellen biologischen Recyclingverfahrens genauer zu beziffern“, so die Leipziger Forscher. Zwar werde etwa in Frankreich schon am PET-Recycling mittels Enzymen im industriellen Maßstab gearbeitet. Man hoffe, dass das eigene Enzym wesentlich schneller arbeite.
Sonnendecker weiß allerdings um Grenzen des Verfahrens. Nicht für alle gängigen Kunststoffe werde es eine sinnvolle enzymatische Recyclingoption geben, glaubt er.
Auch der Greifswalder Biochemiker Bornscheuer geht davon aus, dass Enzyme nicht als Allheilmittel gegen die Kunststoffflut dienen und verweist etwa auf den Plastikmüll in den Ozeanen. „Das sind die Sünden der Vergangenheit.“ Und derzeit würden weltweit schätzungsweise 360 Millionen Tonnen Plastik produziert. Tendenz steigend: „Es werden jedes Jahr ungefähr 20 Millionen Tonnen mehr.“
Nach Einschätzung Bornscheuers wird es noch einige Jahre dauern, bis die Ergebnisse industriell genutzt werden können.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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