18 Mrd. Euro für die Ukraine – und ein „Veto“ aus Ungarn

Ungarn würde einen EU-Kredit in Höhe von 18 Milliarden Euro für die Ukraine blockieren, hieß es in den Medien. Doch ganz so einfach ist es nicht. Stattdessen steckt ein Präzedenzfall dahinter: „Die Auszahlung von EU-Geldern wird an Dinge geknüpft, die nichts mit ihnen zu tun haben.“
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Der tschechische Finanzminister Zbynek Stanjura (Mitte) hört Bundesfinanzminister Christian Lindner (L) vor einem Wirtschafts- und Finanzrat (Ecofin) am 6. Dezember 2022 in der EU-Zentrale in Brüssel zu.Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP über Getty Images
Von 10. Dezember 2022

Die ungarische Regierung hat dem gemeinsamen EU-Kredit für die Ukraine nicht zugestimmt, hieß es kürzlich in den Medien. Ungarn sei damit das Land gewesen, welches das EU-Programm mit seiner Stellungnahme „vorübergehend blockiert“ habe. Was war geschehen?

Vier Themen, ein Paket, nur im Ganzen abstimmbar

Kürzlich fand ein Treffen der EU-Finanzminister im Economic and Financial Affairs Council (Rat für Wirtschaft und Finanzen, kurz „Ecofin“) in Brüssel statt. Auf diesem sollte unter anderem der EU-Kredit für die Ukraine beschlossen werden. Es wird geschätzt, dass die Ukraine 3 bis 4 Milliarden Euro pro Monat an Hilfe benötigt, die EU würde etwa die Hälfte davon gemeinsam finanzieren.

Weitere angesetzte Themen waren die globale Mindeststeuer sowie die Bereitstellung von Geldern für Ungarn. Doch nachdem Ungarns Regierung sich so positioniert hatte, verschob die Ecofin die anderen Themen.

Tschechiens Finanzminister Zbyněk Stanjura, der bis Ende Dezember den Vorsitz des Rates innehat, erklärte, dass er nun die Annahme der EU-Hilfe für die Ukraine mit den ungarischen Themen verknüpfe und in ein „Paket“ stecke. Das Paket werde nur verabschiedet, wenn in all diesen Punkten Einigkeit herrsche.

Zu dem „Paket“ gehören neben dem EU-Kredit für die Ukraine aktuell die EU-Gelder für Ungarn (7,5 Mrd. Euro sowie die Annahme des ungarischen Sanierungsplans) und die Abstimmung über die globale Mindeststeuer. Letztere lehnt Ungarn ebenfalls ab.

Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde deutlich gesagt, dass der Rat das ungarische Sanierungsprogramm nur dann genehmigen würde, wenn die ungarische Regierung im Gegenzug dem Unterstützungsprogramm für die Ukraine und zur Frage der globalen Mindeststeuer zustimmt.

Ein Reporter von „Euronews“ fragte nach, ob dies bedeute, dass die ungarischen Gelder erst dann bewilligt würden, wenn eine Einigung in den anderen Fragen erzielt worden sei. Eine klare Antwort erhielt er nicht.

Der tschechische Finanzminister Zbynek Stanjura vor Beginn der Sitzung am 6. Dezember 2022 in Brüssel. Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP via Getty Images

Minister: „Gefährlicher Präzedenzfall“

„Ungarn hält es für einen gefährlichen Präzedenzfall, dass die Auszahlung von EU-Geldern an Dinge geknüpft wird, die nichts mit ihnen zu tun haben“, kommentiert Ungarns Finanzminister Mihály Varga. Mehrere EU-Mitgliedstaaten würden ihre Unterstützung für die Fonds demnach davon abhängig machen, dass Budapest seine Position ändere.

Das ist nicht fair! Die Fragen, die auf diese Weise aufgeworfen werden, haben nichts mit dem ungarischen Fall zu tun.“

So seien weder die globale Mindeststeuer, über die abgestimmt werden soll, noch die gemeinsame EU-Kreditaufnahme in Höhe von 18 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine mit der Auszahlung von EU-Geldern an Ungarn verknüpft, sagte er.

Der Minister erklärt auch den Grund, warum er nicht zustimmte, und erinnert: „Wir haben schlechte Erfahrungen mit der gemeinsamen Kreditaufnahme gemacht, zum Beispiel hat diese Art von EU-Beschluss während der Coronavirus-Epidemie Ungarn nicht geholfen, auf die Mittel zuzugreifen“.

Ungarn sei bereit, der Ukraine weiterhin zu helfen, werde dies aber nur im Rahmen eines bilateralen Abkommens tun. Finanzminister Varga bekräftigte auch, dass Ungarn die Erhöhung der globalen Mindeststeuer nicht unterstützt. Ungarn hat mit 9 Prozent einen der niedrigsten Steuersätze in Europa. Im Einklang mit den internationalen Bemühungen einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent müssten die geltenden Steuersätze angehoben werden. Das würde zu Arbeitsplatzverlusten und einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit führen. Deswegen könne sein Land die Erhöhung der globalen Mindeststeuer nicht unterstützen.

Finanzministerium: Behauptungen über Veto sind „Fake News“

Mihály Varga erklärt auf seiner Facebook-Seite genauer, was während der Sitzung der Finanzminister geschehen ist. Auf der Ratssitzung sei letztlich nur eine Änderung der Haushaltsordnung beschlossen worden. Es ging um die Frage, in welcher Form die EU Kredite aufnehmen soll – nicht um das „ob“.

„Im Gegensatz zu den falschen Berichten in der Presse stand auf der Ecofin-Sitzung vom 06.12.2022 die 18 Milliarden Euro Unterstützung für die Ukraine nicht auf der Tagesordnung. Alle solchen Behauptungen sind Fake News“, erklärt das ungarische Finanzministerium.

Der stellvertretende ungarische Ministerpräsident und Finanzminister Mihaly Varga (L) im Gespräch mit dem slowenischen Finanzminister Klemen Bostjancic (R) am Rande des Ecofin-Ratstreffens vom 8. November 2022 in Brüssel. Foto: JOHN THYS/AFP über Getty Images

Viktor Orbán twitterte ähnlich: „In den heutigen Nachrichten ging es darum, dass Ungarn sein Veto gegen die Finanzhilfe für die Ukraine eingelegt hat. Das sind Fake News. Ungarn ist bereit, der Ukraine auf bilateraler Basis finanzielle Unterstützung zu gewähren. Kein Veto, keine Erpressung.“

Die ungarische Regierung konnte rechtlich gesehen gar kein Veto gegen die finanzielle Unterstützung der Ukraine einlegen – da diese Frage nicht auf der Tagesordnung stand. Jedoch zielte „die Änderung der Haushaltsordnung genau auf die Form des EU-Darlehens zur Finanzierung des Hilfsprogramms für die Ukraine ab“, warnt die ungarische Wirtschaftsanalyse-Website „Portfolio„.

Tschechiens Finanzminister Zbyněk Stanjura, Vorsitzender des Gremiums, erklärte, dass die Ukraine die Unterstützung auch dann erhalten wird, wenn es mit Ungarn keine Einigung gibt. „Um jeden Preis“, fügte er hinzu. Nach der Sitzung konnte, so Stanjura, mit qualifizierter Mehrheit auch schon mit der Vorbereitung des Darlehens begonnen werden, sodass die Beihilfe im Januar gewährt werden kann.

Durch diese Vorgehensweise wurden jedoch die für Ungarn wichtigen Abschlüsse vertagt. Es war geplant, über den Vorschlag des Ausschusses, „einen Teil der Ungarn zustehenden Haushaltsmittel einzufrieren“, zu entscheiden. Entschieden wurde auch nicht über die „Zuweisung von Sanierungsmitteln für Ungarn“ – beides hätte ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit in Kraft treten können.

Poker mit Geldern?

Zuvor beschuldigten unter anderem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und EU-Kommissar Johannes Hahn die ungarische Regierung, Erpressungsversuche zu unternehmen. Ihrer Meinung nach möchte Ministerpräsident Viktor Orbán die ihm vorenthaltenen EU-Gelder endlich bekommen und die Ungarn vorgeworfenen Probleme zum Rechtsstaatlichkeitsverfahren lösen. Deswegen würde er, so die Anschuldigungen, andere Mitgliedstaaten durch sein Veto in anderen wichtigen Fragen erpressen.

Annalena Baerbock kritisierte Ungarn dahingehend, dass es die EU-Finanzhilfen für die Ukraine blockiert. Budapest solle nicht mit dem Geld „Poker spielen“, um Druck auf Brüssel im Streit um die Rechtsstaatlichkeit auszuüben, sagte sie.

Die ungarische Regierung meint, dass die Verhandlungen mit der EU über die Rechtsstaatlichkeit gut voranschreiten. Dies bestätigte auf der Pressekonferenz von Ecofin auch der tschechische Finanzminister, ohne Einzelheiten zu den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zu nennen.

EU will Vetorecht abschaffen

Schon länger diskutieren die EU-Minister über eine mögliche Abschaffung des Vetorechts der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Beispielsweise forderte Anna Lührmann (Grüne/Deutschland) in einem Interview mit „Euronews“, die Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung der EU in außen- und sicherheitspolitischen Fragen abzuschaffen.

„Politico“ berichtete, dass mindestens fünf große EU-Mitgliedstaaten die Anwendung einer Sonderregel befürworten. Diese könnte bei bestimmten außen- und sicherheitspolitischen Fragen wie zum Beispiel Sanktionen gegen Russland eingesetzt werden. Damit könnte von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit übergegangen werden.

Als einziges Hindernis wird gesehen, dass die Umstellung auf diese Abstimmungsmethode zunächst von allen Mitgliedstaaten einstimmig befürwortet werden muss.



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