Berliner Polizei erklärt sich zum Einsatz am 29. August

Die Berliner Polizei erhielt nach dem 29. August, dem Samstag der "Querdenken"-Demo und dem sogenannten "Reichstags-Sturm" viele Medienanfragen. Dazu gab die Polizei nun eine Stellungnahme heraus.
Titelbild
Während der „Querdenken“-Demonstration am 29. August 2020 auf der Straße des 17. Juni in Berlin.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images
Epoch Times16. September 2020

Die Polizei Berlin meldet (hier der Originaltext):

Für das Wochenende, beginnend am Freitag den 28. August 2020 bis Sonntag, den 30. August 2020, wurden in Berlin diverse Versammlungen angemeldet. Inhaltlich befasste sich der Großteil der Demonstrationen mit der Corona-Pandemie bzw. der „Corona-Politik“.

Im Vorfeld waren allein für den Samstag 21 Versammlungen angemeldet. Von der Versammlungsbehörde wurden sechs Versammlungen verboten und sechs weitere durch die Anmeldenden abgesagt. Das Verbot resultierte unter anderem aus den Erfahrungen vom Versammlungsgeschehen am 1. August 2020. Dort achtete man nur unzureichend auf die Hygienemaßnahmen wie das Abstandsgebot oder das Tragen der Mund-Nasen-Masken, sodass ein erhöhtes Infektionsrisiko erkannt wurde.

Bei der erfolgten Rechtsgüterabwegung wurde somit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Vorrang gegenüber dem Recht auf Versammlungsfreiheit eingeräumt.

Nach den Versagungen der Versammlungsbehörde gab es in der Folge 5.100 Versammlungsanmeldungen für den 29.08.2020. Anmeldende sollten sich am Einsatztag bei den Einsatzkräften melden, um vor Ort ihr Versammlungsbegehren unter Bezug auf die vorhergehende Internetanmeldung zu erklären. Dies ist am Einsatztag in keinem Fall geschehen.

Das Verwaltungsgericht hob das Verbot jedoch auf und dieses wurde endgültig durch das OVG Berlin-Brandenburg bestätigt. Allerdings hat das Gericht dem Veranstalter auch Auflagen unter anderem zur Einhaltung des Mindestabstands gemacht.

Es waren am Samstag ca. 38.000 Versammlungsteilnehmende beteiligt. Die Versammlungsorte waren über die Stadt verteilt, konzentrierten sich jedoch auf der Achse zwischen Großer Stern, Straße des 17. Juni, Unter den Linden bis zur Friedrichstraße, somit in unmittelbarer Nähe zum Parlaments- und Regierungsviertel. Daher wurde zum Schutz des Parlaments- und Regierungsviertels ein umfangreiches Absperr- und Einsatzkonzept entwickelt.

Aufzug und Russische Botschaft

Bei dem Aufzug „Versammlung für die Freiheit“, der um 11:00 Uhr auf der Straße Unter den Linden beginnen sollte, wurden bereits in der Sammlungsphase die Mindestabstände von den etwa 10.000 Personen nicht eingehalten. Bei den intensiven Kooperationsgesprächen mit dem Versammlungsleiter wurde ein umfassendes Hygienekonzept vereinbart. Zur Einhaltung des erforderlichen Mindestabstands von 1,5 m mussten daher zwischen den 17 Lautsprecherfahrzeugen ein Abstand von jeweils 100 Metern eingehalten werden, um sogenannte Marschblöcke mit je 1.000 Teilnehmende bilden zu können.

Es ist dem Versammlungsleiter trotz der hohen Anzahl von Ordnern nicht gelungen, die Verdichtung zu entzerren und die Personen über die gesamte Strecke zu verteilen. Aufgrund der mehrmaligen erfolglosen Aufforderungen zur Einhaltung der Abstände erfolgte durch den Einsatzleiter die Auflage zum Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung. Dies war eine Mindermaßnahme, um die Auflösung der Versammlung zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 20.000 Teilnehmende entlang der Straße Unter den Linden.

Nachdem auch diese Auflage von den versammelten Personen nicht beachtet wurde, erfolgte um 12.53 Uhr die Auflösungsverfügung durch die Polizei Berlin. Hierzu wurden Lautsprecherdurchsagen getätigt und die Auflösungsverfügung über die Social-Media-Kanäle bekanntgegeben. Während der Abstromphase sammelten sich vor der Russischen Botschaft etwa 2.000 Personen, von denen ein Großteil den sogenannten Reichsbürgern zuzurechnen war. Einige Personen erkletterten die Betonbrüstung der Umzäunung, klingelten Sturm und versuchten Gegenstände auf das Territorium Russlands zu werfen. Die Personen wurden mittels unserer Lautsprechertrupps aufgefordert, die Örtlichkeit zu verlassen.

Da dieser Aufforderung nicht Folge geleistet wurde, erfolgten freiheitsbeschränkende Maßnahmen. Dies führte zu Widerstandshandlungen und zu Stein- und Flaschenwürfen gegen die eingesetzten Polizeidienstkräfte. Die Einsatzkräfte wendeten Zwangsmaßnahmen in Form von körperlicher Gewalt an und setzten Reizstoffsprühgeräte ein.

Insgesamt 160 Straftaten wurden von den Einsatzkräften in diesem Zusammenhang registriert. Dazu gehörten u. a. 63 Fälle des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, 15 Fälle des Tätlichen Angriffs, in 15 Fällen waren es Beleidigungen und in 14 Fällen wurden Anzeigen wegen des Verdachts der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gem. § 277 StGB i.z.m. dem Ausstellen und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 279 StGB eingeleitet. Darüber hinaus wurden 192 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet.

Die Mehrzahl der Fälle wegen Nichtentfernen nach Auflösung einer Versammlung (132 Fälle) sowie wegen fehlender Mindestabstände (46 Fälle). Insgesamt gab es im Bereich der Russischen Botschaft 269 Freiheitsbeschränkungen oder Freiheitsentziehungen.

Kundgebung Siegessäule

Die Kundgebung „Berlin invites Europe – Fest für Freiheit und Frieden“ auf der Straße des 17. Juni, zu der sich ein Großteil der Teilnehmenden der aufgelösten Versammlung begeben hatte, wurde in der Spitze mit 8.000 Teilnehmenden durchgeführt. Bei dieser Kundgebung wurden zum größten Teil die Abstände eingehalten bzw. deren Einhaltung durch vom Anmelder eingesetzte Ordner erwirkt.

In Zusammenhang mit der Kundgebung registrierte die Polizei Berlin insgesamt elf Straftaten unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (1 Fall), Beleidigung (1 Fall) und Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (1 Fall). 39 Ordnungswidrigkeitenverfahren leiteten die Einsatzkräfte wegen des fehlenden Sicherheitsabstandes ein.

Platz der Republik/Reichstag

Die Kundgebung am Reichstag, in deren Verlauf ca. 300 bis 400 Teilnehmende versuchten in das Parlamentsgebäude zu gelangen, wurde aufgrund dieser Unfriedlichkeit aufgelöst. Angemeldet wurde die Kundgebung beginnend am Freitag, den 28. August, 18 Uhr bis zum Samstag, den 29. August, 21 Uhr. Die Versammlungsbehörde belegte die aktuelle Anmeldung mit einer Verbotsverfügung. Durch das Verwaltungsgericht Berlin wurde in erster Instanz und im weiteren Verlauf durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in zweiter Instanz das Verbot aufgehoben.

Zur Bewältigung der Versammlungslagen im Bereich Regierungsviertel standen zunächst zwei Berliner Einsatzeinheiten, eine Einsatzeinheit aus Baden-Württemberg und die Diensthundführereinheit zur Verfügung. Eine Einsatzeinheit hatte den Auftrag, vor dem Reichstagsgebäude einen geschlossenen Abstrom in Richtung Reichstagsgebäude, Reichtagswiese und Paul-Löbe-Haus sowie einen Zustrom aus Richtung Scheidemannstraße zu verhindern. Zur Unterstützung der polizeilichen Maßnahmen wurden umfangreich Absperrgitter genutzt.

Derzeitigen Erkenntnissen zufolge ereigneten sich die Geschehnisse, die zum Überlaufen der Absperrlinie und dem Betreten der Reichstagstreppe führten, folgendermaßen:
Die Versammlung auf dem Platz der Republik begann gegen 10 Uhr mit 150 Teilnehmenden. In der Spitze versammelten sich bis zu 650 Teilnehmende.

Gegen 16:00 Uhr schloss sich eine Gruppe einer bereits wiederholt auffällig gewordenen Person an.

Unmittelbar nach dem Erscheinen betrat die Person die Bühne und nahezu zeitgleich wurden die Absperrgitter zur Reichstagswiese von ca. 50 Personen umgekippt, auseinandergerissen, überwunden und die Reichstagswiese betreten. Hierbei wurden vereinzelte Gitter beschädigt. Bei der Personengruppe handelte es sich um sogenannte Reichsbürger, Mitglieder von Bruderschaften sowie Anhängern der auf der Bühne sprechenden Person. Nachdem Einsatzkräfte von den Personen bedrängt wurden, mussten diese unter Anwendung von körperlicher Gewalt und dem Einsatz von Reizgas und Diensthunden mit Beißkorb abgedrängt bzw. der Bereich geräumt werden. Zur Unterstützung wurde die Bewässerungsanlage eingeschaltet. Die Personen verließen daraufhin die Wiese.

Gegen 18.40 Uhr war ein starker Zulauf von ehemaligen Versammlungsteilnehmenden von der Straße des 17. Juni aus, über den Tiergarten, in Richtung Scheidemannstraße zu verzeichnen. Es wurde versucht die vorhandenen Absperrgitter auseinander zu schieben bzw. zu überwinden. Dies konnte zunächst verhindert werden. Wiederholt wurde von Personen, die aus dem Bereich der Straße des 17. Juni kamen, versucht, die Absperrgitter auseinander zu reißen, um ins Regierungsviertel zu gelangen. Auch über die Gedenkstätte der Sinti und Roma selbst und den Gebüschen entlang der Scheidemannstraße wurde versucht, ins Regierungsviertel zu gelangen.

Um den Druck von der Scheidemannstr, auf die Absperrungen zum Reichstagsgebäude zu verringern, wurden die Diensthunde im Bereich des Tiergartens eingesetzt. Hierdurch konnte zunächst ein weiterer Zustrom und der Druck auf die Absperrungen der Polizei an der Scheidemannstraße minimiert werden. Durch eingesetzte Polizeifahrzeuge wurde zusätzlich eine Fahrzeuglinie an der Scheidemannstraße errichtet. Gleichwohl gelangte eine Gruppe von ca. 75-100 Personen an die Absperrlinien zum Reichstagsgebäude und versuchte diese zu übersteigen. An den gesamten Absperrlinien im Bereich Scheidemannstraße und im Versammlungsraum befanden sich gegen 19 Uhr ca. 2.000 Personen.

Vereinzelt versuchten Personen aus dem Bereich Scheidemannstraße weiterhin die Gitter zu übersteigen, was ihnen aufgrund der Masse dann auch gelang. Die Lage konnte dennoch zunächst stabilisiert werden. In diesem Moment wurde von einer Sprecherin auf der Bühne des Versammlungsleiters dazu aufgerufen, nun geschlossen die Reichstagstreppe zu erstürmen. Somit wurde zeitgleich von zwei Seiten massiver Druck auf die Absperrlinien ausgeübt. So gelang es einer Gruppe von circa 500 Personen, die mit Absperrgittern und durch Einsatzkräfte gesicherte Absperrung zum Reichstag kurzfristig zu überwinden und die Treppe hoch zu laufen.

Die Personen sind nach derzeitigen Erkenntnissen nach mehrheitlich dem „Reichsbürger“-Spektrum zuzuordnen. Daneben haben einige Teilnehmende die aus dem „Reichsbürger“-Spektrum bekannten „Gelben Westen Berlin“ getragen. Daneben beteiligten sich mutmaßlich auch Personen aus dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus (Gewalttäter-Spektrum) sowie dem verschwörungsideologischen QAnon-Spektrum an der Aktion. Auch augenscheinlich Schaulustige, die offensichtlich keiner verfassungsfeindlichen Szene zuzuordnen sind.

Die zur äußeren Sicherung des Reichstags am Ort befindlichen Einsatzkräfte reagierten unverzüglich und intervenierten sofort. Alle sonst verfügbaren Einsatzkräfte wurden ebenfalls sofort zur Unterstützung hinzugezogen.

Die ersten Unterstützungskräfte gelangten vor den Störern an die Türen des Reichstagsgebäudes und hielten die Personen zurück. Ein Eindringen in das Reichstagsgebäude war den Personen daher nicht möglich. Durch weitere Einsatzkräfte wurde zeitgleich eine Polizeikette hinter den Störern errichtet, um einen weiteren Zustrom zu verhindern. Durch die hinzugezogenen Einheiten wurden die Störer nun vom Eingang des Reichstages in Richtung des ursprünglichen Kundgebungsortes, unter dem Einsatz von unmittelbarem Zwang durch Schubsen, Schieben, Pfefferspray und des Rettungsmehrzweckstocks (also dem Tonfa) zurückgedrängt. Es wurden dabei vereinzelt Flaschen auf die Einsatzkräfte geworfen.

Nach wenigen Minuten war die Treppe des Reichstagsgebäudes von den Störern befreit. Durch die Polizei beim deutschen Bundestag konnte festgestellt werden, dass keine Personen ins Gebäude gelangten und nach Inaugenscheinnahme konnten keine Beschädigungen festgestellt werden. Ein Lautsprecherwagen wurde angefordert und führte Durchsagen zur Auflösung der Versammlung, auf Grund der nicht ordnungsgemäßen Durchführbarkeit, des fehlenden Einwirkens des Leiters auf die Teilnehmenden sowie des unfriedlichen und gewalttätigen Verlaufes, durch.

Anschließend wurde der Platz vor dem Reichstag mit den unterstellten Einheiten über die Scheidemannstr. in Richtung John-Foster-Dulles-Str. geräumt.
Insgesamt 21 Straftaten (Stand 7. September 2020) wurden durch Einsatzkräften zur Anzeige gebracht, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruch (2 Fälle), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (3 Fälle) und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (2 Fälle). 16 Personen wurden in Zusammenhang mit den Geschehnissen am Reichstag festgenommen oder überprüft.

332 Festnahmen, 3.024 Polizisten im Einsatz, 58 Polizeikräfte verletzt

Der vorläufigen Gesamtbilanz nach, nahmen die Einsatzkräfte in Zusammenhang mit den Einsätzen am 29.08.2020 insgesamt 332 Personen fest. 440 Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren wurden eingeleitet. 88 Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt wurden eingeleitet, wobei es hier Mehrfacherfassungen gibt. Zum Schutz der Versammlung und Sicherung des Regierungsviertels waren insgesamt 279, zur Betreuung sämtlicher Einsätze an diesem Tag 3024 Polizistinnen und Polizisten eingesetzt.

Die Zahl der verletzten Polizisten unterteilt sich wie folgt: Reichstag: 30 verletzte Mitarbeiter, Unter den Linden/Russische Botschaft: 13, Friedrichstraße: 4, Straße des 17. Juni: 1 und Platz der Republik: 10. Insgesamt wurden 58 Polizeidienstkräfte verletzt. Davon mussten drei Mitarbeitende ihren Dienst beenden. (pm/ks)



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