„Verheerend“: Viel Kritik für Lauterbachs Impfempfehlung für unter 60-Jährige

Die Corona-Inzidenz ist wieder angestiegen. Nun wirbt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für die vierte COVID-19-Impfung – am besten für alle Erwachsenen. Die Kritik folgt promt.
Die Impfentscheidung sei immer eine Entscheidung zwischen Hausarzt und Betroffenen, sagt SPD-Gesundheitsminister Lauterbach.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 15. Juli 2022

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) empfiehlt auch Menschen unter 60 Jahren eine vierte Corona-Impfung. Damit stößt er jedoch auf Kritik bei Experten. „Wenn jemand den Sommer genießen und kein Risiko eingehen“ wolle, würde er in Absprache mit dem Hausarzt auch Jüngeren die Impfung empfehlen, sagte Lauterbach dem „Spiegel“. Der Chef der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, entgegnete in der „Welt am Sonntag“, er kenne keine Daten, die einen solchen Ratschlag rechtfertigten. Einen Anstieg bei den Fallzahlen gibt es dem Robert Koch-Institut zufolge in Pflege- und Altenheimen.

Mit einer Viertimpfung „hat man einfach eine ganz andere Sicherheit“, begründete Lauterbach seinen Vorstoß. Das Long-COVID-Risiko sei „deutlich reduziert für ein paar Monate“, ebenso das Infektionsrisiko. Einen an Omikron angepassten Impfstoff könnten die Menschen auch nach der vierten Impfung nehmen. Lauterbach geht damit über die Empfehlungen von EU und Ständiger Impfkommission hinaus.

STIKO-Chef: Viel hilft nicht viel

Kritik an Lauterbachs Aussage kam sogar aus der Impfkommission. „Ich halte es für schlecht, medizinische Empfehlungen unter dem Motto ‚Viel hilft viel‘ auszusprechen“, sagte der Chef der Ständigen Impfkommission, Mertens, der „Welt am Sonntag“. Die Empfehlung seiner Kommission, wonach sich Menschen über 70, Vorerkrankte und Pflegepersonal die vierte Dosis verabreichen lassen sollen, halte er nach wie vor für richtig.

Dass die EU-Gesundheitsbehörde ECDC und die EU-Arzneimittelbehörde EMA die Altersgrenze in dieser Woche auf 60 festsetzten, sei aber vertretbar, sagte Mertens weiter. „Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für einen schweren Verlauf. Es ist nicht einfach, hier eine genaue Grenze beim Alter zu ziehen.“

„Es kann nicht jedes Jahr geimpft werden“

Allerdings könne nicht jedes Jahr die gesamte Bevölkerung geimpft werden. Die dreimalige Impfung mit den verfügbaren Impfstoffen schütze gut vor schweren Verläufen, so Mertens: „Aber die Übertragung des Virus wird nur gering beeinflusst.“

Ein Sprecher Lauterbachs sagte, es könne keine grundsätzliche Empfehlung für eine Viertimpfung geben. Das solle jeweils im Einzelfall mit dem Arzt besprochen werden. Der Minister habe deutlich gemacht, dass im Herbst ausreichend Impfstoff zur Verfügung gestellt wird.

Der Virologe Alexander Kekulé übte ebenfalls Kritik an Lauterbach. „Wenn der Gesundheitsminister eigene Empfehlungen gibt, die von denen der Ständigen Impfkommission abweichen, verspielt er damit das Vertrauen der Bevölkerung“, sagte er der „Welt am Sonntag“.

Zudem gibt es bereits verstärkt Anzeichen, dass zu viele Corona-Impfungen das Immunsystem schwächen und selbst zu Long-COVID-ähnlichen Symptomen führen könnten.

Kritik an Lauterbachs Kommunikation

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) schloss sich im „RBB Inforadio“ zwar grundsätzlich der Empfehlung von Lauterbach an, allerdings bezeichnete er die Kommunikation des SPD-Politikers als „verheerend“, so Holetschek am Freitag. „Wir haben jetzt die Europäische Kommission, die vor Kurzem gesagt hat, [eine vierte Corona-Impfung] ab 60 Jahren. Wir haben die STIKO, die im Moment noch sagt, ab 70, und heute Karl Lauterbach für alle.“

Wichtig sei aber „eine Kommunikation, die einheitlich ist, die Vertrauen schafft.“ Mit Blick auf Lauterbachs jetzige Empfehlung fügte er hinzu: „Damit schafft man kein Vertrauen in der Bevölkerung.“

Dem aktuellen Wochenbericht des RKI zufolge bleibt der Infektionsdruck in der Allgemeinbevölkerung hoch. „Auch bei gleichbleibenden Fallzahlen sind weitere Anstiege von schweren Erkrankungen, Hospitalisierungen und Todesfällen zu erwarten.“ In Deutschland habe die seit Mitte Juni dominierende Omikron-Sublinie BA.5 mit 83 Prozent andere Varianten fast vollständig verdrängt. Die Zahl der Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen stieg wieder deutlich an, in medizinischen Behandlungseinrichtungen hingegen nur leicht.

Holetschek: Rechtlicher Rahmen wichtig

Der Gesundheitspolitiker fügte noch hinzu: „Ich halte eine Durchseuchung nach wie vor für falsch, weil wir wissen, dass Long- und Post-COVID tatsächlich ein Thema ist, das uns länger beschäftigen wird.“ Zudem müsse man auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen. „Aber wir brauchen dafür auch klare Regeln auch für den Herbst.“

Diese klaren Regeln vermisse er, so Holetscheks Kritik. „Die Bundesregierung sitzt im Schlafwagen. Wir donnern in den Herbst hinein und die Länder haben alle einstimmig gefordert, man muss uns jetzt wieder den Werkzeugkasten zur Verfügung stellen.“ Er habe sich noch vor der parlamentarischen Sommerpause einen Entwurf für eine Reform des Infektionsschutzgesetzes gewünscht, der aber ausgeblieben ist.

Konkret gehe es ihm um einen klaren rechtlichen Rahmen, um im Herbst wieder mehr Corona-Regeln erlassen zu können. „Das Thema Maske im Innenraum wird sicherlich ein zentrales Thema werden. Das hat ja auch jetzt Bestätigung gefunden in vielen Expertenrunden, dass das ein wirksamer Schutz ist. Ein niedrigschwelliger Eingriff.“

(Mit Material von afp, dts)



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