Von Helmen zu Kampfpanzern: Wie die Bundesregierung der Kriegslogik folgte (3)

Nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 erklärte Bundeskanzler Scholz die „Zeitenwende“ in der deutschen Verteidigungspolitik. Nur Kriegspartei wolle man nicht werden. Eine Chronologie der Ereignisse aus deutscher Sicht von Juni 2022 bis zum 24. Februar 2023.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (l) auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in einem Puma-Schützenpanzer.
Der neue starke Mann im Verteidigungsministerium: Mitte Januar 2022 trat der Niedersachse Boris Pistorius (l.) in die Fußstapfen von Christine Lambrecht. Das Archivfoto zeigt ihn in einem Puma-Schützenpanzer auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 24. Februar 2023

Fortsetzung von Teil I und Teil II

Am 3. Juni 2022 – rund 100 Tage nach Beginn der Invasion russischer Truppen in die Ukraine – zog Moskau ein positives Zwischenfazit: Bestimmte Ziele seien erreicht worden. FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte die Bundesregierung kurz danach auf, nun auch die Lieferung spanischer „Leopard“-Panzer aus deutscher Produktion sehr schnell zu genehmigen.

Am 11. Juni kündigt die Luftwaffe an, bis 2026 nun 35 moderne Kampfflugzeuge nahe der Mosel stationieren zu wollen. Die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine könne sich wegen massiver Probleme noch Monate hinziehen: Lediglich 30 Gepard-Luftabwehrpanzer und Panzerhaubitzen könnten Kiew im Sommer zur Verfügung stehen.

Scholz: „Kein Diktatfrieden nach Putins Gnaden“

Am 13. Juni versicherte Ursula von der Leyen der Ukraine ihre Unterstützung beim EU-Beitritt. Mitte Juni erklärte auch Kanzler Scholz bei einem Kiew-Besuch, dass die Ukraine zur „europäischen Familie“ gehöre. Er werde die Ukraine unterstützen, solange es nötig sei. Es werde „keinen Diktatfrieden geben können nach Putins Gnaden“, versprach Scholz.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte Scholz‘ bisheriges Vorgehen: Sie finde es „richtig, wie der Westen sich für die Existenz der Ukraine einsetzt, ohne Teil der direkten militärischen Auseinandersetzung zu werden.“

Die Kosten für die bisherigen Waffenlieferungen beliefen sich inzwischen auf 350 Millionen Euro. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte in einem MSNBC-Interview, dem Westen „nie wieder vertrauen“ zu können.

Am 22. Juni warnte die SPD-Abgeordnete Nina Scheer davor, dass das von Deutschland, Frankreich und Spanien getragene FCAS-Projekt für einen modernen Kampfjet „sicherheitstechnisch verfehlt und damit ein Milliardengrab“ werden könnte. Einen Tag später forderte Kanzler Scholz ein Wiederaufbauprogramm für die Ukraine nach dem Krieg.

Wenige Tage danach stellte Bundespräsident Steinmeier seine Vision von einer „sozialen Pflichtzeit“ für junge Erwachsene in Deutschland vor. Die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht teilte einen internationalen Aufruf für Friedensverhandlungen mit Russland.

NATO stellt sich neu auf

15.000 Soldaten, 65 Flugzeuge, 20 Schiffe: Laut NATO-Gipfel vom 29. Juni soll die Bundeswehr eilig und in großer Zahl kampfbereite Truppen für die NATO stellen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Für Verteidigungsministerin Lambrecht große Herausforderungen. Polen sollte nach dem Willen der USA das ständige Armeehauptquartier beherbergen. Wladimir Putin warnte vor neuen Spannungen und warf der NATO „imperiale Ambitionen“ vor. Anfang Juli forderten deutsche Prominente, Publizisten und Wissenschaftler den Westen auf, sich um eine Verhandlungslösung zum Waffenstillstand zu bemühen.

Am 9. Juli kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selinskyj die Abberufung seines Botschafters Andrij Melnyk aus Berlin an – keine Überraschung nach all den Angriffen gegen den Verbündeten Deutschland. Tags darauf verkündete die Bundesregierung einen Erfolg in Sachen Material: Norwegen wäre in der Lage, dringend benötigte Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard zu produzieren.

Am 25. Juli trafen die ersten Gepard-Flugabwehrpanzer aus Deutschland mit 10.000 Schuss Munition in der Ukraine ein. Kurz darauf kamen auch Mehrfachraketenwerfer im Kriegsgebiet an. Russland reagierte mit einer Gasdrosselung.

Am 28. Juli genehmigte die Bundesregierung den Verkauf von weiteren 100 Panzerhaubitzen an die Ukraine. Die ersten gelieferten Exemplare wiesen nach vier Wochen im Gebrauch bereits deutliche Verschleißerscheinungen auf. Mitte August waren offenbar nur noch fünf von 15 Panzerhaubitzen einsatzbereit.

Ampel-Umfragewerte im Keller

Kurz darauf fuhr die Ampel-Regierung die schlechtesten Beliebtheitswerte seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 ein.

Manche Koalitionspolitiker waren bereit, für die Ukraine eine Schwächung der Bundeswehr in Kauf zu nehmen. Das lehnte das Bundesverteidigungsministerium jedoch ab. Inzwischen hatten eine knappe Million Ukrainer den Weg nach Deutschland gefunden. Am 24. August sicherte Kanzler Olaf Scholz der Ukraine anlässlich ihres Nationalfeiertages die unbefristete finanzielle, militärische und politische Hilfe Deutschlands zu. Außenministerin Baerbock unterstrich das Versprechen „mit allem, was wir haben“. Kurz darauf forderte eine Gruppe von SPD-Politikern eine diplomatische Offensive für ein rasches Ende des Krieges in der Ukraine.

In einer Grundsatzrede in Prag warb Bundeskanzler Scholz Ende August für weitreichende Reformen innerhalb der EU: Neben einer Strategie „Made in Europe 2030“ solle es auch ein neues Luftverteidigungssystem in Europa geben.

Am 31. August zog sich Annalena Baerbock den Unmut großer Teile der deutschen Bevölkerung zu: Sie hatte der Ukraine unbegrenzte Hilfe zugesagt, „ganz egal, was meine deutschen Wähler denken“. Die Regierung stürzte weiter ab, was die Zufriedenheit in der Bevölkerung anbelangte.

Mitte September versprach Verteidigungsministerin Lambrecht neue Mehrfach-Raketenwerfer inklusive 200 Raketen, außerdem 50 Allschutz-Transport-Fahrzeuge des Typs Dingo. Auch der seit Monaten vorbereitete Ringtausch mit Griechenland sei „auf der Zielgeraden“. Die Ampel blieb im Stimmungstief. Kanzler Scholz versprach, die Bundeswehr „zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ zu machen und die strengen deutschen Regeln für Waffenexporte zu überprüfen.

Sabotage gegen Nord Stream-Pipeline

Am 26. September wurden drei von vier Röhren der beiden Unter-Wasser-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt. Damit wurde eine der wichtigsten Infrastrukturbauten Deutschlands unbrauchbar. Schnell wurde klar: Es konnte sich nur um einen absichtlichen Sabotageakt handeln. Der Verdacht fiel zunächst auf Russland. Doch bald ließ sich die Vermutung nicht mehr halten. Wer also steckte dahinter?

Verteidigungsministerin Lambrecht widersprach am 2. Oktober ihrem Parteikollegen Karl Lauterbach: „Wir werden keine Kriegspartei“. Sie besuchte erstmals seit Kriegsbeginn die Ukraine, um mit ihrem ukrainischen Kollegen Oleksij Resnikow zu sprechen.

Im Osten Deutschlands demonstrierten über 100.000 Menschen gegen die deutsche Kriegs- und Energiepolitik. Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán forderte bei seinem Besuch in Deutschland den sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen – und zwar zwischen Russland und Amerika. Dafür sei Donald Trump der richtige Mann.

Einen Tag später lieferte Rheinmetall im Zuge eines sogenannten „Ringtauschs“ zur Unterstützung der Ukraine Kampf- und Bergepanzer an Tschechien. Prag leitet seinerseits militärische Ausrüstung an die Ukraine weiter.

Am 12. Oktober erhielt die Ukraine das erste von Deutschland bereitgestellte hochmoderne Luftverteidigungssystem Iris-T. Am nächsten Tag beschloss Deutschland gemeinsam mit 14 weiteren NATO-Ländern den Aufbau einer gemeinsamen Luftverteidigung. Kanzler Scholz stellte der Ukraine beim fünften Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum am 24. Oktober in Berlin eine Wirtschaftspartnerschaft in Aussicht.

Immer mehr Unterstützung aus Deutschland

Dreifaches deutsches Kriegshilfe-Budget im Jahr 2023, zusätzliche 500 Millionen Unterstützung monatlich für Kiew und ein dicker Extra-Finanztopf als Entwicklungshilfe für die Ukraine: Anfang November sagte die Regierung noch mehr Hilfe für die Ukraine zu. Zudem solle die Bundeswehr ab Mitte November ukrainische Truppen im Rahmen der sogenannten EUMAM-Mission ausbilden.

Am 18. November bestätigten der schwedische Sicherheitsdienst und die Staatsanwaltschaft, dass es sich bei der Zerstörung der Nord Stream-Gaspipelines um Sabotage gehandelt hatte. Die Bundesregierung verweigerte „weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls“. Zwei Tage darauf einigten sich Deutschland, Frankreich und Spanien auf die Fortführung des größten europäischen Luftwaffenprojekt FCAS.

Weitere Pannen bei Lambrecht

Mitte Dezember wurde bekannt, dass Rheinmetall ein neues Munitionswerk bauen wollte. Bei einer Bundeswehr-Schießübung fielen 18 von 18 Schützenpanzern des Typs „Puma“ aus. Ministerin Lambrecht erklärte, vorerst auf weitere Ankäufe zu verzichten. Dass die im März bestellten 35 F35-Kampfjets eine Menge Probleme mit sich bringen würden, kam erst zu Weihnachten auf den Tisch.

Kurz vor Weihnachten 2022 hatte eine Studie den deutschen Medien Einseitigkeit und Eskalationsdrang bei der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg bescheinigt. Pünktlich zu Heiligabend erklärte Wladimir Putin erneut seine Bereitschaft, die Kampfhandlungen durch Diplomatie zu beenden. Auch Alt-US-Außenminister Henry Kissinger warnte vor Eskalation.

Kurz vor Silvester antwortete NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit einer Forderung nach noch mehr Waffen und Hilfsanstrengungen für die Ukraine. Allmählich wurde klar, dass die Bundeswehr einen Punkt erreicht hatte, an dem sie Deutschland nicht mehr aus eigener Kraft würde verteidigen können.

Das neue Jahr 2023 begann für Verteidigungsministerin Lambrecht mit viel Kritik – diesmal wegen ihrer verunglückten Silvesterrede. Mitte Januar musste sie nach einer Reihe von Pannen und Skandälchen ihren Hut nehmen.

Scholz gibt Widerstand gegen Kampfpanzer-Forderungen endgültig auf

Am 6. Januar 2023 gab Kanzler Scholz erneut einen Teil seines Widerstands auf: Zusammen mit den USA sei er bereit, der Ukraine nun erstmals westliche Marder-Schützenpanzer und ein Patriot-Flugabwehrsystem zu liefern. Polen und Finnland – kurz darauf auch Litauen – drängten weiter auf die Freigabe von Leopard-2-Kampfpanzern durch Berlin.

Massiver Personalmangel, nicht einsatzfähige Waffen, marode Infrastruktur: Der überfällige Reformbedarf bei der Bundeswehr konnte nach Lambrechts Abgang nicht länger verborgen bleiben. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius sollte frischen Wind bringen. Die Ukraine wandte sich sofort mit neuen Forderungen an ihn.

Am 24. Januar sorgte Außenministerin Baerbock international für Aufregung: Nach ihrer Rede vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg sagte sie: „We are fighting a war against Russia and not against each other“ („Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“). Noch am selben Tag gab Bundeskanzler Olaf Scholz seinen tagelangen Widerstand auf und genehmigte die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern aus Bundeswehrbeständen und von anderen NATO-Ländern. Am 25. Januar sagte Pistorius 14 Leo-2-Systeme für die Ukraine zu. Prompt wurde er mit neuen Wünschen aus Kiew nach Streumunition und Raketen konfrontiert.

Der Politiker und Musiker Andreas Hofmann stellte am 26. Januar einen Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, um eine Eskalation der deutschen Kriegsbeteiligung auf rechtlichem Weg zu verhindern. Auch die Linke warnte vor einem „Dammbruch“.

Scholz: Kampfjet-Lieferungen ausgeschlossen

Bundeskanzler Scholz versprach Ende Januar, sein Nein zur Abgabe von Kampfjets oder Bodentruppen an die Ukraine zu verteidigen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ließ sich in seiner Forderung nach F16-Kampfjets davon allerdings nicht beeindrucken: Falls Kanzler Scholz nicht mitziehen wolle, sei er dafür verantwortlich, dass das Misstrauen gegenüber Deutschland wachse. Kurz darauf erhöhte der polnische Botschafter den Druck, indem er Polens Ansprüche auf 1,3 Billionen Euro an Kriegsreparationen aufs Tapet brachte.

Nach Ansicht des Außenministeriums, der Bundeswehr und verschiedener Experten galt Deutschland im Sinne des Völkerrechts noch immer nicht als Kriegspartei im Ukraine-Krieg. Auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden oder Waffenlieferungen änderten daran angeblich nichts.

Pistorius legt nach

Seit Februar war die Wehrpflicht-Debatte erneut aufgeflammt. Verteidigungsminister Pistorius heizte die Diskussion an, indem er es als einen Fehler bezeichnete, die Wehrpflicht überhaupt ausgesetzt zu haben. Doch nur eine Minderheit war dafür.

Der Niedersachse ging auch davon aus, dass der Ukraine-Krieg noch Jahre dauern werde: Pistorius kündigte am 7. Februar an, zusammen mit europäischen Partnern auch noch bis zu 178 Kampfpanzer der älteren Baureihe Leopard 1 an die Ukraine abzugeben. Bis Ende März 2024 sollen mindestens 100 Stück vor Ort sein.

Die Zerstörung der Nord-Stream-Gaspipelines sollte nach Recherchen des US-Starjournalisten Seymor Hersh auf das Konto der USA und Norwegens gehen. Noch Ende März hatte US-Präsident Biden die Entschlossenheit der USA beschworen, den NATO-Partnern im Falle eines Angriffs  stets militärisch zur Seite zu stehen. Die Bundesregierung wich entsprechenden Fragen erneut aus.

Knapp ein Jahr nach der russischen Invasion auf die Ukraine erntete Olaf Scholz ein gemischtes Zwischenfazit zu seiner Kanzlerschaft. Am 17. Februar kündigte er auf der Münchener Sicherheitskonferenz einen neuen Umgang mit der Rüstungsindustrie an. Außenministerin Baerbock sorgte kurz darauf an gleicher Stelle  für internationale Verwunderung, als sie sagte, dass die Ukraine nicht sicher sei, bevor Putin sich nicht „um 360 Grad“ gedreht habe (Video auf YouTube).



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion