Fernkälte: München setzt auf zentralisierte Klimaanlage

Mit Fernkältenetzen wollen Städte für ein angenehmeres Klima sorgen – nicht nur an den heißen Tagen im Jahr. Neben Dubai und Paris investieren auch einige Stadtwerke in Deutschland in diese Technik.
Fernkälte
Eine Klimaanlage auf dem Dach eines Industriegebäudes. Spielt Fernkälte bald eine immer größere Rolle?Foto: iStock
Von 26. September 2023

In immer mehr deutschen Haushalten befindet sich inzwischen eine Klimaanlage für angenehmere Sommertage. Das Vergleichsportal Verivox fand im Juli durch eine Umfrage heraus, dass 13 Prozent der Haushalte in Deutschland bereits eine Klimaanlage haben. Weitere 16 Prozent planten die Anschaffung.

Doch die Geräte haben auch eine Kehrseite: Die Wärme, die sie Räumen entziehen, geben sie zusätzlich zur Abwärme ihrer Antriebe und Steuerung an die Umgebungsluft ab. Gerade im Zuge der Klimadebatte wird das von vielen Behörden kritisch betrachtet.

Um dieses Problem zu vermeiden, setzen manche Städte auf Fernkältesysteme. Besonders die Stadtwerke München (SWM) haben inzwischen in einigen Bereichen des Stadtgebiets solch ein Fernkältesystem installiert.

Vor- und Nachteile von Fernkälte

Eine moderne Anlage zur Kälteerzeugung funktioniert ähnlich wie Kühlschränke, Klimaanlagen und Wärmepumpen, wie „Focus“ berichtete. In einem geschlossenen System wird ein Gas komprimiert und zur Flüssigkeit. Dieser Prozess setzt Wärme frei. Anschließend wird der Druck reduziert, die Flüssigkeit erwärmt sich wieder und wird gasförmig, dabei wird Wärmeenergie aus der Umgebung entzogen – dann wird es dort kalt.

Über Wärmetauscher wird ein anderer Kreislauf – mit Wasser als Trägermedium – zentral abgekühlt und gelangt über eine Rohrleitung zu den Kunden. Dort nimmt es Abwärme aus der Gebäudeklimatisierung auf. Anschließend wird es über eine zweite, parallel verlaufende Leitung der zentralen Kälteerzeugung zugeführt, wieder abgekühlt und dem Kunden erneut zur Verfügung gestellt.

Dabei gibt es sowohl Vor- als auch Nachteile: Einerseits arbeiten große Kühlanlagen im Vergleich zu kleinen Klimageräten meist effizienter und ermöglichen bestenfalls die Nutzung der Abwärme. Andererseits erzeugen kleine Geräte die Kälte direkt beim Verbraucher und senken damit mögliche Transportverluste.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Aspekt, der, je nach Sichtweise, zugleich Vor- und Nachteil ist: Sowohl Fernkälte- als auch Fernwärmenetze sind im Regelfall ein Marktmonopol. Beispielsweise wird es nicht zwei unabhängige Netze in einer Straße geben. Somit hat der Betreiber die vollständige Kontrolle über die Technik – und die Preise.

Eisschmelze reduziert Verluste

Viele Stadtwerke setzen zusätzlich natürliche Kälte ein. Diese stammt etwa aus Flüssen, Grundwasser, Seen oder dem Meer. Dann brauchen die Anlagen sehr viel weniger Energie. „Wir versuchen möglichst viel Grundwasser oder Stadtbäche zu nutzen als Hauptkältelieferant“, sagte Stefan Dworschak von den SWM. Dies gilt allerdings nur für die Kälteerzeugung, die entzogene Wärme setzten derartige Systeme trotzdem frei – unter Umständen in empfindlichen Ökosystemen.

Wie andere Fernkältenetze hat auch das in München einen Kältespeicher. Mit großen Kältemaschinen wird dort Eis erzeugt, vor allem nachts, „wenn der Stromverbrauch in der Stadt gering ist, das entlastet das Stromnetz“, erklärte Dworschak. Dieses Eis erzeugt am Tag die benötigte Kälte, wenn der Bedarf an Kühlung in den Gebäuden hoch ist.

Eis hat dabei den Vorteil, dass beim Schmelzen verhältnismäßig viel Wärme benötigt – beziehungsweise viel Kälte freigesetzt – wird, ohne dass es eines großen Temperaturunterschieds bedarf. Das erleichtert die Dämmung des Speichers.

Fernkältenetze haben standardmäßig eine Vorlauftemperatur von sechs Grad Celsius, die des Rücklaufs beträgt rund zwölf Grad. Das heißt, das Wasser kommt mit etwa sechs Grad Celsius zu den Verbrauchern und fließt mit der doppelten Temperatur zurück zum Kälteerzeuger. Besonders geeignet ist ein Fernkältesystem in einem Bereich mit vielen Gebäuden, oder Abnehmern.

Fernkälte gegen städtische Hitzeglocken

Auf Anfrage der Epoch Times erklärten die Stadtwerke München Einzelheiten zu ihrem Fernkältesystem: Dieses ist rund 22 Kilometer lang und zieht sich durch die Münchner Innenstadt. Darüber hinaus betreiben die SWM acht weitere Grundwasser-Kühlungen im Stadtgebiet.

Übersicht über das Fernkältenetz in München. Foto: © SWM

Im Jahr 2022 gab es laut „Statista“ 17 Tage mit landesweiter Durchschnittstemperatur von mindestens 30° Celsius, 2021 waren es nur fünf Tage. Dieses Jahr dürfte die Anzahl erneut im einstelligen Bereich liegen. Das Fernkältenetz ist jedoch nicht nur an wärmeren Tagen im Einsatz. Tatsächlich ist es ganzjährig in Betrieb, wie Michael Silva, stellvertretender SWM-Pressesprecher mitteilte. „Es versorgt vor allem das Gewerbe, etwa Rechenzentren, Geschäfte, Hotels et cetera.“

Als Beispiel nannte Silva das Fernkältenetz Moosach: „Hier sind neben dem städtischen Rechenzentrum auch der Busbetriebshof Moosach sowie ein Werkswohnungsbau mit 114 Wohnungen eingebunden.“ Im Winter nutze das Netz die aufgenommene Wärme zur Eisfrei-Haltung des Busbetriebshofs sowie ganzjährig über Wärmepumpen zur Heizung und Warmwasserbereitung in den Werkswohnungen.

Das Fernkältenetz soll zudem laut Silva an heißeren Tagen sogenannte Hitzeglocken in den Innenstädten der Großstädte abmildern. Auch die Abwärme aus individuellen Klimaanlagen fördern diese Hitzeglocken.

Eine Frage der Wohnqualität

Epoch Times befragte auch Prof. Konstantinos Stergiaropoulos. Er ist Institutsleiter am Lehrstuhl für Heiz- und Raumlufttechnik, Arbeitsgruppe „Raumklimatechnik“ an der Universität Stuttgart. Stergiaropoulos sieht die Ursache des Problems von Hitzeglocken in einer missglückten Städteplanung. „Viele deutsche Städte haben es versäumt, bestimmte Bereiche in der Stadtentwicklung so zu konzipieren, dass es entsprechende Grünzonen und Brunnen gibt, wie oftmals im Süden Europas. Das hat Deutschland über viele Jahre ignoriert“, bemängelt der Fachmann. Neben dem Heizen werde auch das Kühlen immer relevanter.

Die Frage, wie hoch die Betriebskosten eines solchen Fernkältesystems sind, bleibt offen. Die Stadtwerke München wollte diese „unternehmensinternen Zahlen nicht kommunizieren“. Silva erklärte aber, dass die SWM die Kosten zu einem überwiegenden Teil trage. Teils fließen beim Netzausbau auch Fördergelder der öffentlichen Hand. München investiert laut DW derzeit in Fernkühlung mit Tiefengeothermie. Ab Mitte 2024 kommt die Wärme dafür aus über 1.800 Meter Tiefe.

Neben München hat auch Chemnitz bereits ein Fernkältenetz im Stadtgebiet installiert. „Außerhalb Deutschlands kommt sie unter anderem zum Einsatz in Wien, Paris, Stockholm, Hongkong, Singapur, Dubai und Toronto“, informierte Silva. In Wien treibt zum Beispiel die Abwärme aus der Müllverbrennungsanlage eine sogenannte Absorptionskältemaschine an.

Stergiaropoulos geht davon aus, dass sich Kühlsysteme künftig noch stärker verbreiten werden. Denn immer weniger Menschen würden darauf verzichten wollen, wenn sie es sich leisten können. Das sei eine Frage der Wohnqualität und der Behaglichkeit.



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