Schweiz: Alte Genome zeigen Laktosetoleranz und Parallelgesellschaften in der Steinzeit

Altansässige und Einwanderer lebten ab der Steinzeit in der heutigen Schweiz vermutlich nebeneinander. Archäologen entdeckten unter ihnen zudem einen der frühesten laktosetoleranten Menschen in der Schweiz.
Grab aus der Steinzeit in der Schweiz
Der Dolmen von Oberbipp im Kanton Bern von oben: Dort befindet sich eine der großen, in die Untersuchung einbezogenen Fundstätten.Foto: Urs Dardel, Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Schweiz)
Von 23. April 2020

Durch die Einwanderung von Nomaden aus der eurasischen Steppe kam es in Europa zum Ende der Steinzeit, rund 2800 Jahre vor Christus, zu einer umfassenden Bevölkerungsumwälzung. Das haben umfangreiche genetische Analysen ergeben. Bisher war jedoch über den genauen Zeitpunkt dieser Änderungen und den Ablauf der Vermischung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Zentraleuropa wenig bekannt.

Das Forschungsteam analysierte nun in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ 96 alte Genome, die neue Einblicke in die Abstammung heutiger Europäer geben.

In den Westen kommt Neues

In der Schweiz wurden jungsteinzeitliche Siedlungen an Seeufern und im Sumpfland gefunden. Doch auch höhere Regionen wie innere Alpentäler oder hohe Bergpässe wurden besiedelt. Die reichhaltigen archäologischen Funde machen die Schweiz zu einem herausragenden Ort zur Erforschung der Bevölkerungsgeschichte Zentraleuropas.

Auf das Ende der Steinzeit (ca. 2800 vor Christus) wird das erste Auftreten archäologischer Funde datiert. Diese stammen aus dem Kulturkomplex der sogenannten Schnurkeramik. Im gleichen Zeitraum lassen sich in der genetischen Abstammung der Menschen Spuren aus dem Westen finden. So liegt ihr Ursprung in der pontisch-kaspischen Steppe, auf dem Gebiet des heutigen Russlands.

Ein internationales Forschungsteam aus den Universitäten Tübingen und Bern sowie dem Max Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (MPI-SHH) ist den Spuren genauer nachgegangen. Die Forscher interessierte, wie sich die Bevölkerungsgruppen aus der pontisch-kaspischen Steppe mit den in Europa bereits ansässigen Menschen vermischten.

Ausgrabung an einem schweizer Fundplatz der Steinzeit

Der Dolmen von Oberbipp von oben zu Beginn der Ausgrabung. Foto: Urs Dardel, Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Schweiz)

Dafür sequenzierten sie die Genome von 96 Individuen aus 13 Ausgrabungsstätten. Diese beinhalten Fundstellen von der Jungsteinzeit bis zur frühen Bronzezeit in der Schweiz, Süddeutschland und dem Elsass. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die neue Abstammungsgruppe bereits 2800 Jahre vor Christus einwanderte.

Die Forscher gehen davon aus, dass sich die Gene der neuen und altansässigen Bevölkerungsgruppen erst allmählich mischten. Sie identifizierten zudem aus der Fundstätte Spreitenbach (Schweiz) einen der bisher ältesten bekannten Menschen weltweit, der laktosetolerant war. Er lebte rund 2100 Jahre vor Christus und konnte sich von größeren Mengen Milch und Milchprodukten ernähren.

Langsame genetische Umwälzung in der Steinzeit

„Bemerkenswerterweise fanden wir mehrere weibliche Individuen, deren Gene keinerlei Spuren der Vorfahren aus der Steppe aufwiesen. Und das, obwohl die Steppen-Menschen bereits seit 1.000 Jahren in der Region lebten“, sagt die Erstautorin der Studie, Anja Furtwängler vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen in einer Pressemitteilung.

Belege aus genetischen Analysen und der Bestimmung stabiler Isotope lassen auf eine Gesellschaft schließen, bei der die Männer ihrem Geburtsort treu blieben. Die Frauen stammten außerdem aus nicht verwandten Familien, unter deren Vorfahren keine Einwanderer aus der Steppe waren.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Menschen der schnurkeramischen Kultur eine relativ einheitliche Bevölkerungsgruppe bildeten. Sie lebten in der frühen Bronzezeit in weiten Teilen Zentraleuropas. „Daneben existierten jedoch über Hunderte von Jahren auch Gruppen ohne Ahnen aus der Steppe“, sagt die Wissenschaftlerin.

Grab aus der Steinzeit in der Schweiz

Schicht mit menschlichen Überresten in ihrer ursprünglichen Lage im Dolmen von Oberbipp. Foto: Marianne Ramstein, Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Schweiz)

Neue Gene, neue Sprache?

„Da die Eltern der zugezogenen Frauen in unserer Studie auch keine Vorfahren aus der Steppe haben können, bleibt noch zu belegen, wo in Zentraleuropa solche Gruppen vorkamen. Möglicherweise lebten sie in Alpentälern, die kaum Verbindungen zu anderen Regionen hatten“, sagt Johannes Krause, Direktor der Abteilung Archäogenetik am MPI-SHH und Mitautor der Studie.

Die Forscher hoffen, dass weitere Studien mehr Licht auf den kulturellen Austausch werfen können, der dem Übergang von der Jungsteinzeit zur frühen Bronzezeit in Zentraleuropa den Weg bereitete. Sie wollen herausfinden, in welchen Regionen die letzten Menschen ohne Steppen-Gene vorkamen.

Mit den Menschen aus der Steppe gelangten wahrscheinlich auch die indoeuropäischen Sprachen nach Europa. „Es ist zu vermuten, dass vor allem in Gebieten, die lange nicht indoeuropäisch sprachen, weniger Steppen-Gene zu finden sein müssten“, sagt Krause.



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