Unvollständige Klimamodelle: Forscher übersehen Milliarden Bäume
Bäume binden Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre, kommen der Tierwelt und der biologischen Vielfalt zugute und machen Menschen gesund und glücklich. Viele Menschen haben gar den Luxus, Bäume im eigenen Garten, vor dem Fenster oder in einem nahe gelegenen Park zu haben. In diesen Fällen müssen sie nicht zwangsläufig Teil großer Wälder sein.
Genau diese einzelnen Bäume oder Baumgrüppchen außerhalb von Wäldern waren für Klimaforscher bisher schwer bis kaum zu erfassen. Aus diesem Grund fehlten sie häufig in Untersuchungen oder Klimamodellen – mit unübersehbaren Konsequenzen. Dies soll nun der Vergangenheit angehören.
„Versteckte Bäume“ bedecken knappe Hälfte Deutschlands
Wie ein Forscherteam der Universität Kopenhagen mitteilt, konnten sie Europa aus der Vogelperspektive betrachten und so Bäume außerhalb bewaldeter Gebiete zählen. Dies gelang ihnen mithilfe eines fortschrittlichen Algorithmus, Satellitenbildern und Künstlicher Intelligenz. Zusätzlich halfen sie damit bei der europäischen Bauminventur, da derzeit Bäume außerhalb von Wäldern im nationalen Waldinventar ebenfalls kaum bis nicht erfasst wurden.
Die aktuelle Studie der dänischen Forscher zeigt, wie viel Biomasse in Summe bislang unberücksichtigt blieb. So kommen allein für Europa 15 Millionen Hektar „versteckte Bäume“ zusammen, die rund 42 Prozent der Fläche Deutschlands bedecken. Dies entspricht einer Milliarde Tonnen versteckter Biomasse in städtischen und ländlichen Gebieten, die Forscher ab sofort in verschiedene Statistiken und Modelle einbeziehen können. Und das sind noch nicht einmal alle Bäume – weil die KI Bäume erst dann als solche erkannte, wenn diese drei Meter oder höher waren.
„Es gibt zum Beispiel sehr viele Bäume in Ferienhausgebieten und Städten, die bei der Erstellung nationaler Waldinventare nicht berücksichtigt werden. Unsere Studie zeigt, dass es ein verstecktes Potenzial in Bezug auf die Kohlenstoffspeicherung außerhalb der Wälder gibt. Dies sollte in Klimamodellen und Biomasseinventaren einbezogen werden“, sagt Professor Martin Brandt von der Universität Kopenhagen.
Niederlande ist Spitzenreiter der versteckten Bäume
Die Niederlande, Großbritannien, Irland und Dänemark haben den höchsten Prozentsatz an Baumbewuchs außerhalb von Waldgebieten. Mit fast 25 Prozent stehen die Niederlande jedoch an erster Stelle der versteckten Bäume. Von diesen Bäumen stehen nur acht Prozentpunkte in Städten.
In Großbritannien befindet sich 22 Prozent des Baumbestands außerhalb von Wäldern, während in Irland der Anteil knapp 20 Prozent beträgt. Allgemein zeigte sich, dass in Ländern mit deutlich mehr städtischen Flächen auch wesentlich mehr Bäume „übersehen“ wurden. In Finnlands Rechnung fehlen beispielsweise nur knapp zwei Prozent des gesamten Baumbestands.
„In europäischen Ländern mit vielen großen Waldgebieten fallen die Bäume außerhalb der Wälder kaum ins Gewicht. Aber in Ländern wie Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien und Irland, deren Waldbestand nicht so groß ist, spielen diese Bäume eine wichtige Rolle. Sie sind wichtig für die biologische Vielfalt, das Mikroklima, die Lebensräume, den Landschaftswert und den Wasserkreislauf“, so Professor Brandt.
Zählung mit 92,4 Prozent Genauigkeit
Auf der Grundlage von Daten, die unter anderem aus nationalen Verzeichnissen stammen und die Länder in städtische, bewaldete und ländliche Gebiete unterteilen, entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der Bäume – sofern sie höher als drei Meter sind – anhand ihrer Baumkronen erkennen kann. Im Anschluss daran speisten die Forscher den Algorithmus mit detaillierten Satellitenbildern von ganz Europa und konnten so die Menge der Baumbedeckung außerhalb von Wäldern in jedem Land berechnen.
„Die Qualität der Ergebnisse unserer KI kommt der [manuellen Auswertung] von Satellitenbildern sehr nahe, die in der hier untersuchten Größenordnung sehr teuer zu produzieren sind. Unsere Kartierung der Bäume außerhalb der Wälder hat eine Genauigkeit von 92,4 Prozent“, so Siyu Liu, der Erstautor der Studie.
Bereits vor einigen Jahren führten Brandt und seine Kollegen große Analysen von verborgenem Baumbestand in der Sahara und in anderen Teilen Afrikas durch. Auch damals verwendeten die Wissenschaftler hierfür detaillierte Satellitenbilder und KI.
„Bessere Überwachung“ der Bäume
Laut Martin Brandt waren Kartierungen mit diesem Präzisions- und Detailgrad jedoch nie zuvor möglich. Dies sei zugleich ein Fortschritt, der die Überwachung weltweiter Wälder in Zukunft erleichtern könne.
„Heute schicken wir Menschen los, um die Biomasse manuell zu messen. Aber allein in Dänemark gibt es mehr als 20.000 bewaldete Grundstücke. Das ist also eine gewaltige Aufgabe. Unsere Methode ermöglicht eine schnellere Überwachung, und das in einer Zeit, in der sich Landschaften schnell verändern und eine genaue Bewertung der Kohlenstoffvorräte sehr wichtig ist“, so Brandt.
Um die Ergebnisse ihrer Studie auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, griffen die Forscher auf Daten der dänischen Waldinventur zurück. „Ohne Waldinventurdaten, die zur Eichung solcher Methoden verwendet werden, sind Satellitenbeobachtungen nur digitale Zahlen ohne Bedeutung. Diese Inventurdaten sind jedoch in der Regel auf Wälder beschränkt, und Methoden wie die hier vorgestellten ermöglichen es, die Inventurdaten auf jeden Winkel des Landes auszuweiten“, schließen die Forscher.
Die Studie erschien am 15. September 2023 im Fachmagazin „Science Advances“.
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