Was ein kalter Winter für Deutschland bedeutet

In einem Gastkommentar spricht der ehemalige Hamburger Umweltsenator, Prof. Fritz Vahrenholt, über den bevorstehenden Winter, die Strom- und Gasversorgung sowie die Rolle russischen Öls für Deutschland. Eine Analyse.
Die PCK-Raffinerie hat rund 1200 Beschäftigte und verarbeitet das russische Öl aus der Druschba-Pipeline, die in Schwedt/Oder endet.
Ohne russisches Öl gehen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH in Schwedt vermutlich einige Lichter aus.Foto: Patrick Pleul/dpa
Von 17. Dezember 2022

Die energiepolitisch spannendste Frage der nächsten Monate ist die nach der Stärke des Winters. Der Deutsche Wetterdienst beruhigte die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit im November:  „Die Winterprognose des Deutschen Wetterdienstes ist für alle Energieverbraucher eine gute Nachricht. Wir erwarten einen vergleichsweise milden Winter. Sollte das Modell recht behalten, können wir dadurch Heizenergie einsparen.“

Das hört sich mittlerweile wie regierungsamtliches Pfeifen im Walde an. Denn die neusten mittelfristigen Wettervorhersagen des europäischen ECMWF (Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage) sagen bis zum 4. Advent eine starke Abkühlung voraus.

Temperaturvorhersage für den Morgen des 4. Advents in Deutschland.

Temperaturvorhersage für den Morgen des 4. Advents. Foto: Bildschirmfoto / Kachelmannwetter

Vorhergesagte Schneehöhen am Morgen des 4. Advents in Deutschland.

Vorhergesagte Schneehöhen am Morgen des 4. Advents. Foto: Bildschirmfoto / Kachelmannwetter

Die Grafiken zeigen, dass sich die kalte Wetterlage von Polen bis Nordfrankreich erstreckt. Frankreichs Stromverbrauch, der zu einem bedeutenden Teil zum Heizen eingesetzt wird, hat in Ermangelung ausreichender Kernenergiekapazität großen Einfluss auf die Stromversorgung und die Strompreise in Deutschland. Wer sich weiter täglich informieren will, sei auf die Seite „Wo bleibt die globale Erwärmung“ verwiesen. Auch global zeigen die Indizes keine Erwärmung an.

Die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) ist im November 2022  gegenüber dem Oktober von 0,32 Grad auf 0,17 Grad Celsius gesunken. Die durchschnittliche Temperatursteigerung pro Jahrzehnt beträgt seit 1979 nach wie vor 0,13 Grad Celsius – kein Hinweis auf eine besorgniserregende oder gar katastrophale Entwicklung. Ganz im Gegenteil: Die Meereisausdehnung der Arktis hat seit 2016 wieder zugenommen. Seit 2016 gehen die Temperaturen weltweit leicht zurück.

Abweichung der globalen November-Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama. Foto: Dr. Roy Spencer, Daten: NSSTC UAH

Woher kommt der Strom in Deutschland?

„Die Verfügbarkeit von Energie für die elektrische Stromerzeugung ist für diesen Winter gesichert“, sagte Robert Habeck auf einer Pressekonferenz in Südafrika zur Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland. Doch wenn man analysiert, woher der Strom in diesen Tagen in Deutschland kommt, ist das alles andere als beruhigend. Im folgenden Diagramm sehen wir die Stromerzeugung:

Stromerzeugung nach Quellen in Deutschland im Dezember 2022.

Stromerzeugung nach Quellen in Deutschland im Dezember 2022. Foto: Fraunhofer ISE, Energy Charts

Seit dem 1. Dezember liefert die Solarenergie praktisch kaum etwas, Windenergie leidet unter einer anhaltenden Flaute. Am 10. Dezember um 15 Uhr wurden 60 Gigawatt Strom verbraucht. Solar (hellgelb) lieferte 0,7 GW, Wind onshore (hellgrün) 1 GW, offshore (graugrün) 1,6 GW, Erdgas (hellbraun) 16 GW, Steinkohle (dunkelbraun) 12 GW und Braunkohle (mittelbraun) 14,6 GW. Selbst die im Streckbetrieb befindliche Kernenergie (rot) lieferte mit 3,8 GW mehr als Solar und Windenergie zusammen.

Wie soll in solchen Situationen Deutschland versorgt werden, wenn im Jahre 2024 die hinzugeschalteten Stein- und Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen worden sind und die Kernkraftwerke schon im April 2023 abgeschaltet worden sind?

Wie lange reicht das gespeicherte Gas?

Man schaue sich in der Grafik den hellbraunen Bereich von Strom aus Erdgas an, der teuersten Stromerzeugung mit der knappsten Energie, die wir haben. Wenn allerdings teures Fracking-Gas die dunkelbraunen und mittelbraunen Flächen von Braun- und Steinkohle sowie die roten Flächen von Kernenergie zusätzlich ersetzen soll, dann wissen wir heute schon, dass die Strompreise weiter durch die Decke gehen werden. Das würde die Ampelkoalition nicht überleben.

Schon ein mittelmäßig kalter Winter stellt die Regierung vor kaum lösbare Probleme. Schon jetzt leeren sich die Speicher mit einer Rate von 0,5 Prozent oder mehr am Tag. Jeder kann sich ausrechnen, wie lange Speicher, die zu 94 Prozent gefüllt waren (Stand 10. 12. 2022) und nach Vorgabe der Bundesregierung im Februar noch 40 Prozent Speicherstand haben sollen, bei anhaltender Kälte reichen werden.

Es kann gerade mit Glück gutgehen. Doch was passiert im nächsten Winter? Wie kann der Bundeskanzler in Anbetracht dieser Sachlage die Förderung von Gas aus Schiefergestein rundherum ablehnen? Zitat: „Investitionen in deutsche Schiefergasförderung würden sich kaum lohnen, weil es zu lange dauert, bis man heimische Quellen nutzen könnte – bis dahin wird der Gasbedarf deutlich zurückgegangen sein.“

In dieser Aussage sind drei Fehler mit fatalen Folgen für den Standort Deutschland: 1. Es lohnt sich wirtschaftlich, denn es wäre deutlich preiswerter als US-Fracking-LNG-Gas. 2. Es würde auch nur ein Jahr dauern, bis das erste Gas fließen kann. Und 3. der Gasbedarf wird mitnichten zurückgehen.

Nach der Gas- und Stromkrise nun auch noch eine Ölknappheit

Vor dem Ukraine-Krieg deckte russisches Öl 35 Prozent des hierzulande benötigten Öls ab. Obwohl es bis heute kein europäisches Importverbot für Pipeline-Öl gibt, hatte Wirtschaftsminister Habeck der EU zugesagt, ab 1. Januar kein Öl mehr über die Druschba-Pipeline, die die Standorte Schwedt und Leuna versorgt, zu beziehen. Die alternativen Belieferungen über Rostock oder Danzig werden nur einen Teil der Pipeline-Importe abdecken. Über den Preis schweigt die Politik.

Hinzu kommen die Boykottbeschlüsse der EU: Dem Öl-Lieferanten Russland soll nur noch 60 US-Dollar pro Barrel gezahlt werden, obwohl der Weltmarktpreis deutlich höher ist. Putin hat schon erklärt, dass Russland zu diesen Bedingungen nicht liefern wird. Nun gibt es zwei mögliche Folgen des EU-Beschlusses.

Russland hat sich bereits eine Schattenflotte von 100 Tankern zugelegt, um sein Öl in andere Regionen zu transportieren. Wenn es Russland gelänge, sämtliches Öl bei anderen Marktteilnehmern wie Indien oder China unterzubringen, hätte das für alle Marktteilnehmer wenig Folgen – außer für Deutschland, das bislang preiswertes Pipeline-Öl aus Russland importierte.

Sollte es allerdings Russland nicht gelingen, das Öl vollständig unterzubringen, wäre zu wenig Öl auf dem Weltmarkt. Die OPEC+ hat bereits angekündigt, dass sie die Ölförderung nicht erhöhen wird. In diesem Fall würden die Ölpreise bei gleichbleibender Nachfrage weltweit steigen. Einen solchen Boykott würde man wohl eher als Knieschuss bezeichnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „klimanachrichten.de“ unter dem Titel „Fritz Vahrenholt: Was ein kalter Winter für Deutschland bedeutet“ (redaktionelle Bearbeitung ts)



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