„Ein staatlich vorgeschriebenes Geschmacksdiktat“ – Die Folgen von Özdemirs geplantem Werbeverbot

Verluste in Milliardenhöhe für die Werbebranche, Entlassungen und gravierende Einflüsse auf die Medienlandschaft prognostiziert die Düsseldorf Competition Economics GmbH. Sie hat das von Cem Özdemir geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz genau unter die Lupe genommen. Der Bundesminister macht einen Kompromiss.
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Dass Bewegung und eine gesunde Ernährung gegen Übergewicht helfen, ist erwiesen. Aber ein Werbeverbot?Foto: iStock
Von 24. Juni 2023

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft plant, die Werbe- und damit Kommunikationsmöglichkeit vieler Unternehmen der Lebensmittelbranche massiv einzuschränken. So soll das Ziel erreicht werden, den Anteil von übergewichtigen und an Adipositas erkrankten Kindern und Jugendlichen zu reduzieren. Im Auftrag des Markenverbands e.V. hat die Düsseldorf Competition Economics GmbH die Auswirkungen des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes aus wirtschaftlicher Sicht analysiert. Einer der Autoren ist Professor Dr. Justus Haucap, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Düsseldorf.

Nach Darstellung des Ministeriums betrifft das geplante Verbot Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt, die sich an Kinder richtet. Der vorgeschlagene Gesetzentwurf gehe jedoch darüber hinaus, stellen die Gutachter klar. Er beinhaltet „ein nahezu generelles Werbeverbot für fast alle Lebensmittel jenseits von Frischfleisch, Frischfisch, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Milch und (ungesüßten) Säften“.

Betroffen sind alle Lebensmittel, die laut des Nährwertprofils der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht als ernährungstypisch ausgewogen gelten. Dazu gehören beispielsweise Schokolade, Müsliriegel, süße Aufstriche, Desserts, Energydrinks, Kuchen, Backwaren und Speiseeis, aber auch Buttermilch, Käse, Quark, Fertiggerichte, Teigwaren und so weiter.

„Der tatsächliche Anteil der vom Werbeverbot betroffenen Lebensmittel wird unterschätzt“, so die Autoren mit Verweis auf die Studie der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten aus Mai 2023. Diese war zu dem Ergebnis gelangt, dass es bei den Werbebeschränkungen nicht um den Schutz von Kindern oder um an Kinder gerichtete Werbung geht, sondern: „Es geht im Endeffekt um die Rezeptur aller Lebensmittel und um ein staatlich vorgeschriebenes Geschmacksdiktat.“

Ob sich Produkte auf dem Markt halten können, wenn sie ihre Rezepturen ändern, sei fraglich. Denn hier entscheide letztlich der Geschmack der Verbraucher, so die Gutachter weiter. „In der Konsequenz ist zu befürchten, dass die Unternehmen Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, was Arbeitsplatzverluste in der Lebensmittelindustrie zur Folge haben könnte.“

Das Werbeverbot soll in den Medien sowie Download- und Streamingdiensten von 6 bis 23 Uhr gelten sowie im Umkreis von 100 Metern von Freizeiteinrichtungen von Kindern. Dazu gehören nicht nur Schulen, Kitas und Spielplätze, sondern auch Tierparks, Vergnügungsparks, Spielwarengeschäfte und so weiter.

Zahlreiche Branchen betroffen

Neben der Tatsache, dass das Werbeverbot weitreichende Folgen für die Lebensmittelindustrie hat, müssen auch Fernseh- und Radiosender mit deutlichen finanziellen Einbußen rechnen – ganz zu schweigen von den Werbeagenturen, Regisseuren, Filmproduzenten, Fotografen, Druckereien und Stylisten, die sich auf die Lebensmittelbranche spezialisiert haben.

Nach Aussage der Gutachter wird das beabsichtigte Werbeverbot dazu führen, dass dem Werbemarkt voraussichtlich bis zu 2,94 Milliarden Euro entzogen werden. „Das entspricht etwa 74 Prozent der Bruttowerbeumsätze mit Lebensmittelwerbung und damit fast acht Prozent der Bruttowerbeumsätze des Jahres 2022 insgesamt“, so das Autorenteam.

Laut den Umfragen des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA) ist die Lebensmittelbranche der größte Auftraggeber der GWA-Agenturen. Der Lebensmittelsektor gehört dabei seit 2017 zu den Top 5-Auftraggebern und belegt seit zwei Jahren den ersten Platz.

Auswirkungen auf die Medienwelt

Nach Angaben der Gutachter beschneidet das geplante Gesetz die wichtigste Finanzierungsgrundlage der privatwirtschaftlichen Rundfunkunternehmen und schwächt damit ihre Wettbewerbsposition gegenüber öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sich überwiegend aus Rundfunkbeiträgen finanzieren. Da private Sender ohnehin mit sinkenden Werbeeinnahmen zu kämpfen hätten, drohe einigen privaten Sendern, dass sie in Konsequenz ihren Betrieb einschränken oder gar ganz einstellen müssen.

Damit wirkt das geplante Werbeverbot als ‚Brandbeschleuniger‘ für das schleichende ‚Mediensterben‘ und gefährdet somit die Meinungs- und Medienvielfalt in Deutschland“, heißt es in dem Gutachten.

In der Konsequenz drohe eine fundamentale Verschiebung im dualen Rundfunksystem. Die Schwächung des privaten Rundfunks komme einer indirekten Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gleich, der vom Werbeverbot kaum betroffen sei.

Weitere Profiteure des Werbeverbots könnten Medienplattformen im Internet wie Netflix und Amazon Prime sein, die weniger auf Werbeerlöse angewiesen sind, da sie sich über monatliche Beiträge finanzieren.

Keine empirische Evidenz für Werbeverbot

Neben all diesen gravierenden Auswirkungen auf Industrie und Wirtschaft steht nach wie vor die Frage im Raum, ob das Werbeverbot überhaupt geeignet ist, Übergewicht und ernährungsmittelbedingte Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu reduzieren.

„Die Empirie liefert dafür keine belastbaren Ergebnisse“, so die Gutachter.

So sei der prozentuale Anteil von übergewichtigen Kindern seit 2019 angestiegen, obwohl die Werbeerlöse für Süßwaren und andere Lebensmittel zurückgingen.

Werbung erhöht Kalorienzufuhr um 30,4 kcal

Eine Studie aus dem Jahr 2016 unter Laborbedingungen habe gezeigt, dass Kinder in Folge des Werbekonsums durchschnittlich 30,4 Kilokalorien zusätzlich zu sich nähmen. Abhängig von Geschlecht, Alter und körperlicher Aktivität entspricht dies 2,3 bis 0,08 Prozent des täglichen Energiebedarfs von ein- bis 14-jährigen Kindern, was einen sehr geringen Einfluss darstellt.

„Innerhalb des Labors ist Werbung oft der einzige Reiz, dem die Kinder ausgesetzt sind“, geben die Gutachter zu bedenken.

In der Realität würden die Kinder hingegen mit verschiedenen Reizen zum Teil gleichzeitig konfrontiert. Daher sei mehr als fraglich, inwieweit das Studienergebnis auf die Realität übertragbar ist – zumal hier auch noch Eltern oder Erzieher auf das Konsumverhalten von Kindern einwirken können.

Alternativen zum Werbeverbot

Die Gutachter verweisen zudem auf Forschungen, wonach andere Faktoren wie Strategien zur Steigerung körperlicher Aktivität bei Kindern und Jugendlichen entscheidender für die Beeinflussung des Körpergewichts sind.

Im vergangenen Jahr verbrachten die 12- bis 19-Jährigen laut JIM-Studie durchschnittlich 204 Minuten ihrer täglichen Freizeit online. Um das Risiko für Übergewicht und Adipositas in der heranwachsenden Generation zu reduzieren, wäre daher eine deutliche Einschränkung der Zeit vor Bildschirmmedien wichtiger.

Aus Sicht der Gutachter dürfte aufgrund der Studienlage ein alleiniges Verbot der Lebensmittelwerbung unter Beibehaltung der täglichen Bildschirmzeit ins Leere greifen, weil dadurch das Aktivitätsniveau der Kinder- und Jugendlichen in ihrer Freizeit unverändert niedrig bleiben würde.

Um das Risiko von Übergewicht für Kinder und Jugendliche zu senken, müsse man Maßnahmen ergreifen, die sowohl auf die Erhöhung der körperlichen Aktivität als auch die Ernährungsverbesserung abzielen. Gerade in Bezug auf die Ernährung gebe es vielfältige Faktoren wie Geschmack, soziales Umfeld und Lebensbedingungen. Von Maßnahmen, die hier ansetzen, sei eine höhere Wirkung zu erwarten als beim Werbeverbot.

Özdemir legt Kompromiss vor

Inzwischen hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) seine Pläne für Werbeverbote abgeschwächt, die Kinder vor Reklame für ungesunde Lebensmittel schützen sollen. „Wir konzentrieren uns bei den Sendezeiten nun auf die Kinder-Primetime – also auf die Zeitfenster, in denen besonders viele Kinder sehr viel schauen“, sagte Özdemir der „Rheinischen Post“ (Samstagausgabe). Demnach soll die Werbeeinschränkung im Fernsehen für ungesunde Lebensmittel wochentags von 17:00 bis 22:00 Uhr, samstags zusätzlich von 8:00 bis 11:00 Uhr und sonntags von 8:00 bis 22:00 Uhr gelten.

Im ersten Entwurf war generell ein Werbeverbot von 6:00 bis 23:00 Uhr vorgesehen. Özdemir verwies mit Blick auf die Änderungen auf seit März laufende Gespräche mit anderen Ressorts. „Wir haben Anregungen und Kritik einfließen lassen und unseren Entwurf entsprechend präzisiert“, sagte er.

„Im Hörfunk verzichten wir auf eine Sendezeitregelung“, sagte Özdemir nun. „Was Angebote im Internet angeht, sind alle gängigen Kanäle betroffen und auch Influencer, deren Inhalte zunehmend von Kindern konsumiert werden.“

Mit Blick auf ein bislang geplantes Plakatverbot auch im Umkreis von Sportplätzen sagte Özdemir nun: „Wir konzentrieren uns hier auf die direkte Ernährungsumgebung der Kinder: Kitas und Schulen. Und wir stellen klar, dass es kein Verbot von Werbung für Lebensmittel in Schaufenstern gibt.“

Zudem werde die bereits vorhandene Ausnahme für Milch und Fruchtsäfte auf Joghurt ausgeweitet, der nicht extra gesüßt sei, sagte der Minister weiter. „Bei allen Produkten orientieren wir uns an der wissenschaftlich fundierten Nährwerttabelle der Weltgesundheitsorganisation, die ja unter Berücksichtigung medizinischer Erkenntnisse genau dafür erarbeitet wurde.“

Özdemir äußerte die Hoffnung, dass der Vorschlag nach den Änderungen nun schnell im Kabinett verabschiedet werden könne. „Es gibt viele Eltern, die auf das Gesetz warten“, sagte er. „Ich habe ein faires Angebot gemacht, das Kritik auch aufgreift.“ Er freue sich nun „über lösungsorientierte Gespräche. Aber über die Gesundheit der Kinder verhandle ich nicht.“

(Mit Material von afp)



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