Gesundheitsministerium betrachtet Corona-Aufarbeitung als erledigt

Das Bundesgesundheitsministerium sieht keinen Grund für eine weitere Aufarbeitung der Fehler und Versäumnisse aus der Corona-Zeit: Es habe die „Lehren aus der Pandemie“ bereits gezogen. Die FDP hofft dagegen noch auf eine Enquete-Kommission.
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Bundesgesundheitsministerium.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 28. September 2023

Millionen Menschen hatten seit 2020 schwer unter der Corona-Politik der Bundesregierung zu leiden. Psychische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Schäden waren die Folge. Vielfach wird eine Aufarbeitung gefordert, auch aus Reihen der Politik.

Doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter Prof. Karl Lauterbach (SPD) sieht offenbar keinen Grund, sich die politischen Fehler und Versäumnisse noch einmal näher anzuschauen, wie die „Welt“ berichtet. Das BMG habe auf Anfrage mitgeteilt, dass die Bundesregierung die „Lehren aus der Pandemie“ schon gezogen habe.

Künftig besser vorbereitet

Diese Lehren bestehen offenbar schlicht aus Vorbereitungen für eine neue Krise. So habe das BMG betont, dass die „Früherkennung“ verbessert, die „Meldewege“ digitalisiert und die Impfstoff-Produktionskapazitäten gesteigert worden seien, wie die „Welt“ schreibt. Außerdem habe das Ministerium eine „Long-COVID-Kampagne“ gestartet. Dass „angepasste Reaktionsmechanismen“ auch außerhalb Deutschlands Beachtung finden sollten, dafür trete die Bundesregierung auf internationaler Ebene ein.

Eine Enquete-Kommission einzurichten, wie es die FDP und Teile der CDU schon im März gefordert hatten, sei nicht Aufgabe der Regierung, sondern des Parlaments, habe das BMG betont.

FDP erneuert Wunsch nach Enquete-Kommission

Um solch eine Enquete-Kommission scheint sich unter den Ampelparteien aktuell nur noch die FDP zu bemühen. Wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) berichtet, erneuerte Johannes Vogel, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, gerade erst eine entsprechende Forderung. Die Kommission solle sich „zeitnah“ insbesondere mit den Freiheitseinschränkungen beschäftigen, die während der Krise verordnet worden waren. Die „psychischen und sozialen Folgen eines solchen Jahrhundertereignisses“ müssten „angemessen aufgearbeitet“ werden, so Vogel.

Als Anlass und Vorbild für seinen Vorstoß nannte der Liberale Australien: Dort sei gerade erst eine unabhängige Kommission eingesetzt worden, um die Corona-Maßnahmen zu untersuchen.

Auch in Deutschland habe es viele unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen gegeben, betonte Vogel gegenüber dem RND. Das hätten beispielsweise „der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf die Ausgangssperren in Bayern festgestellt“.

FDP-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki ist einer der wenigen, die ebenfalls nicht müde werden, sich für eine Aufarbeitung zu engagieren. Er halte sie für einen „wichtigen Schritt zur gesellschaftlichen Heilung“, zitiert ihn die „Welt“. Dass SPD und Grüne dabei nicht so richtig mitziehen wollten, halte er für „ängstlich, selbstbezogen und verantwortungsvergessen“. Kubicki habe von einer „Verweigerungshaltung“ gesprochen.

Ampelparteien uneinig

Ob die Parlamentarier sich irgendwann mehrheitlich doch noch auf ein solches Gremium aus eigenen Abgeordneten und unabhängigen Sachverständigen einigen können, scheint unwahrscheinlich. Bei der CDU und selbst bei großen Teilen der FDP sei das Interesse daran inzwischen „erlahmt“, berichtet die „Welt“: Die beiden gesundheitspolitischen Sprecher Andrew Ullmann (FDP) und Tino Sorge (CDU) hätten bereits vor dem neuerlichen Vogel-Vorstoß bestätigt, dass das Thema seit Frühjahr „weder offiziell noch informell“ weiter diskutiert worden sei.

Sorge habe das damit begründet, dass es innerhalb der rot-grün-gelben Regierung „keine gemeinsame Position für die Einberufung einer Enquete“ gebe. Und ohne das „Interesse“ der Ampel könne eine „konstruktive und parteiübergreifende Aufarbeitung“ nicht gelingen. Die FDP sei jedenfalls klar für eine Enquete-Kommission, „die SPD reagiere eher neutral“ und die Grünen seien dagegen. In den Reihen der Grünen hatten sich beispielsweise mit Wirtschaftsminister Robert Habeck oder mit dem gesundheitspolitischen Sprecher Janosch Dahmen zwei der schärfsten Impfpflicht-Verfechter ihrer Partei befunden.

Für Dr. Paula Piechotta, die für die Grünen im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags sitzt, ist eine Corona-Aufarbeitung laut „Welt“ ohnehin schon längst im Gange – nämlich vor den deutschen Gerichten und beim Bundesrechnungshof.

SPD will lieber abwarten: „Pandemie noch nicht vorbei“

Aus den Reihen der SPD sei zu vernehmen, dass es für eine Aufarbeitung „nach Art einer Enquete-Kommission“ noch zu früh sei: Antje Draheim, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und Vorsitzende der SPD-Juristenvereinigung, habe auf Anfrage darauf verwiesen, dass die „Pandemie […] noch nicht vorbei“ sei, heißt es in der „Welt“. Immerhin warne ja das Robert Koch-Institut (RKI) bereits „vor der nächsten Welle“. Draheim halte es für sinnvoll, erst „die mittelfristigen Folgen der Pandemie“ abzuwarten, bevor es an eine Rückschau gehen könne.

Und die Unionsfraktion im Bundestag? Die hätte schon wegen ihrer Größe ganz allein eine Enquete-Kommission ins Leben rufen können, schreibt „Welt“-Autorin Elke Bodderas. Was aber nicht geschehen sei. Für Bodderas liegt der Verdacht nahe, dass das mit einer Person zu tun haben könnte: Jens Spahn. Denn der sei bis zur Bundestagswahl 2021 verantwortlicher Gesundheitsminister gewesen. Und stehe nun „für seine Masken-Deals in der Kritik“.

U-Ausschuss bereits abgelehnt

Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag, der sich kritisch mit allen möglichen Fragen zur Coronapolitik der Bundesregierung hätte auseinandersetzen müssen, ist seit dem 19. April 2023 vom Tisch: In einer namentlichen Abstimmung hatte eine klare Mehrheit von 577 Abgeordneten dagegen votiert. Der Antrag war von der AfD-Fraktion eingereicht worden.

Mehr Erfolg hatte die AfD in Brandenburg: Dort wurde auf ihr Betreiben bereits ein U-Ausschuss eingesetzt. Die Fragerunden laufen noch.

Der 19-köpfige Corona-Expertenrat der Bundesregierung hatte bereits gut zwei Wochen vorher seine Arbeit eingestellt – ebenfalls ohne eigene Aufarbeitung.

Andere Länder zeigen sich reuebereiter

In manch anderem Land Europas tut man sich offensichtlich weniger schwer mit einer selbstkritischen Rückschau. Jüngstes Beispiel ist Slowenien. Dort erklärte die Regierung erst vor ein paar Tagen, dass alle Corona-Strafen rechts- und verfassungswidrig seien. Das Parlament beschloss, alle bereits erfolgten Strafzahlungen zurückzuerstatten.

In Frankreich hatte Jean-Francois Delfraissy, der Vorsitzende des inzwischen abgelösten französischen Corona-Rats, bei seinem Abschied Ende Juli 2022 Worte des Bedauerns geäußert: Man habe im Juni 2020 „die Gesundheit über alles“ gestellt, auch über die Menschlichkeit, insbesondere in Pflegeheimen. Dabei hätte man sich besser auf die Meinung der Bürger verlassen sollen, was die Corona-Politik für Schulen oder für ältere Menschen anginge.

Inzwischen habe Frankreich den Obersten Gerichtshof und einen Untersuchungsausschuss mit der Aufarbeitung beauftragt, berichtet die „Welt“. In Österreich habe Kanzler Nehammer „eine ‚gründliche Analyse‘ samt Bevölkerungsbefragung bis Ende des Jahres“ angekündigt. Auch in Italien werde derzeit ein Untersuchungsausschuss vorbereitet.

In Großbritannien gibt es seit Spätsommer 2022 nicht nur eine breite Kritik in den Leitmedien, sondern ebenfalls einen U-Ausschuss. Dort bat Ende Juni 2023 der frühere britische Gesundheitsminister Matt Hancock die Bürger um Verzeihung: Er bedauere den „großen Fehler“ bei der Pandemieplanung Großbritanniens.



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