In der Antarktis auf der Suche nach dem Meeresspiegelanstieg
Am 16. November bricht ein internationales Team von Forschern und Bohrfachleuten in die Antarktis auf. Ihre Reise führt sie von Christchurch (Neuseeland) kommend an den Rand des Inneren Ross-Schelfeis, um durch das Eis und dann bis zu 200 Meter in den Meeresboden zu bohren. Unter den über 120 Teilnehmern sind auch Forscher des deutschen Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
Ziel der Mission sind Bohrkerne und das hoffentlich in ihnen verborgene Wissen um längst vergangene Zeiten – Zeiten, die wärmer waren als heute. Die Hoffnung der Forscher ist, dass diese Aufzeichnungen wichtige Erkenntnisse über die Vergangenheit der Westantarktis liefern und sie so mehr über den potenziellen zukünftigen Beitrag der Antarktis zum Anstieg des Meeresspiegels erfahren.
Mond: 2.400, Antarktis: 13
Jüngste wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der sich erwärmende Südliche Ozean das Schmelzen von weiten Teilen des Westantarktischen Eisschildes (WAIS) beschleunigen wird. Bei kompletter Schmelze enthält der WAIS genug Eis, um den Meeresspiegel um bis zu fünf Meter ansteigen zu lassen. Doch noch ist nicht sicher, wie viel und wie schnell das Eis der Westantarktis schmelzen wird.
Während Teile des WAIS sehr anfällig zu sein scheinen, bleibt unklar, wann und unter welchen klimatischen Bedingungen die großen Schelfeisflächen, die das Inlandeis stabilisieren, verloren gehen. Um hierauf Antworten zu finden, benötige man Sedimente aus Regionen nahe dem Zentrum der Westantarktis. Diese Sedimente enthalten Umweltinformationen, die für die Vorhersagen von entscheidender Bedeutung seien, aber bisher nicht zugänglich waren.
„Wir wissen mehr über die Gesteine und die Zusammensetzung des Mondes als über das Land unter dem westantarktischen Eisschild“, sagt Mikropaläontologin Denise Kulhanek von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des Projekts.
Seit der ersten Mondlandung im Jahr 1969 haben Astronauten über 2.400 Gesteins- und Mineralproben von verschiedenen Stellen des Mondes entnommen. Unter der Eisdecke der Westantarktis gebe es indes nur 13 Stellen, von denen geologische Proben stammen. Das soll sich nun ändern, die Feldarbeiten in der Antarktis werden im November 2023 auf dem Kamb-Schelfeis beginnen und bis Januar 2024 andauern. Eine zweite Feldsaison ist für den Südpolar-Sommer ab November 2024 am Crary-Eisrand geplant.
„Bislang keine fundierten geologischen Beweise“
Konkret soll im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to Two Degrees of Warming“ (SWAIS 2C) ermittelt werden, ob das Ross-Schelfeis und der westantarktische Eisschild abschmelzen könnten, wenn die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde zwei Grad Celsius über den Werten vorindustrieller Zeit liegt.
Dieser Wert ergibt sich aus dem Pariser Klimaabkommen, erklärt Johann P. Klages, Meeresgeologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), deutscher Ko-Koordinator des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams. Weiter sagte er:
Modelle sagen uns, dass der Westantarktische Eisschild zusammenbrechen wird, sobald dieser Wert überschritten wird. Bislang lässt sich dies jedoch nicht bestätigen – einfach deshalb, weil wir noch keine fundierten geologischen Beweise haben, die es erlauben würden, das Verhalten des Eisschildes in vergangenen Warmzeiten zu definieren.“
Wie das AWI in einer Pressemitteilung schreibt, zeigen geologische Rekonstruktionen aus der ganzen Welt, dass der Meeresspiegel während des letzten Interglazials vor etwa 125.000 Jahren sechs bis neun Meter höher lag als heute. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde war zu dieser Zeit eins bis 1,5 Grad Celsius wärmer als in der vorindustriellen Zeit.
Dies deute darauf hin, „dass Teile oder der gesamte Westantarktische Eisschild zusammengebrochen sein könnten, was auf eine potenzielle Empfindlichkeit gegenüber Temperaturen hinweist, die wir bereits erreicht haben und im kommenden Jahrzehnt mit Sicherheit erreichen werden.“
Eis trotz Erwärmung, eisfreie Antarktis trotz Kälte
Wissenschaftler um Stewart Jamieson, Glaziologe an der britischen Universität Durham, kamen indes jüngst zu dem Schluss, dass wenig Anlass zur Sorge bestehe. Sie untersuchten primär die ehemalige Landschaft unter dem ewigen Eis und beschreiben in ihrer Ende Oktober veröffentlichten Studie eine von Flüssen geprägte Landschaft mit abfallenden Tälern und steil aufragenden Hügeln, die Bäume und wahrscheinlich auch Waldtiere beherbergte.
Andere Forscher hatten zuvor einen stadtgroßen See unter dem antarktischen Eis entdeckt, der ebenfalls auf eine grüne Vergangenheit hindeutete. Das britische Forscherteam vermutet, dass es dort unten noch weitere alte Landschaften gibt, die es noch zu entdecken gilt. Vor spätestens 14 Millionen Jahren kam jedoch das Eis und habe alles unter sich „in der Zeit eingefroren“, so Jamieson. Damals waren die durchschnittlichen Temperaturen etwa drei bis sieben Grad Celsius wärmer als heute.
Grund zur akuten Sorge um das Schmelzen der Antarktis bestehe deshalb nicht, weil selbst der Rückzug des Eises während vergangener Erwärmungen, wie jener im Pliozän vor drei bis 4,5 Millionen Jahren, die uralte Landschaft nicht freilegte. – An wieder anderer Stelle war die Antarktis sogar schon zu Lebzeiten der modernen Menschen teilweise eisfrei.
Bohrung durch Eis, Wasser und Gestein
Um mehr über den potenziellen Beitrag der Antarktis zum Anstieg des Meeresspiegels zu erfahren, wird ein Team von Fachleuten für Bohrungen, Ingenieurwesen und Forschung etwa 800 Kilometer zum südöstlichen Rand des Ross-Schelfeises reisen. Dort werden sie bis zu 200 Meter in den Meeresboden bohren, um geologische Aufzeichnungen über sich verändernde Ablagerungen zu gewinnen, welche die Umweltbedingungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung widerspiegeln. Die Hoffnung ist, dass diese Aufzeichnungen wichtige Erkenntnisse über die Vergangenheit der Westantarktis und die Zukunft unserer Erde liefern.
„Wir werden ein speziell angefertigtes Heißwasserbohrgerät verwenden, um ein Loch mit einem Durchmesser von 35 Zentimetern durch 590 Meter dickes Eis zu schmelzen, um dann durch 50 Meter Ozeanwasser an die Stelle zu gelangen, wo der Eisschild sich von seinem Bett gelöst hat und neuen Ozeanboden geschaffen hat“, sagt Andreas Läufer, Geologe an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), deutscher Koordinator und Mitglied des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams.
„Dort werden wir dann ein spezielles Sedimentkernbohrsystem über dem Loch positionieren, ein Hohlbohrsystem auf den Meeresboden absenken und in die Tiefe bohren, um hoffentlich lange Sedimentaufzeichnungen aus der Vergangenheit der Westantarktis zu erhalten“, sagt Darcy Mandeno vom Antarctic Research Centre in Wellington (Neuseeland), Leiterin der Bohrarbeiten für SWAIS 2C.
(Mit Material des Alfred-Wegener-Instituts)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion