WHO-Gesundheitsvorschriften: EU-Kommission verhandelt für Deutschland

Im Mai 2024 sollen auf der 77. Weltgesundheitsversammlung nicht nur ein neuer supranationaler WHO-Pandemievertrag, sondern auch eine Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) verabschiedet werden. Die Bundesregierung überlässt es der EU-Kommission, die deutschen Belange zu vertreten.
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WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus könnte im Mai 2024 zum mächtigsten Mann der Welt werden, befürchten Kritiker des geplanten Pandemievertrags und der Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften. Deutschland wird bei den aktuellen Verhandlungen von der EU-Kommission vertreten.Foto: Fabrice Coffrini/AFP via Getty Images
Von 5. Juli 2023


Bei den internationalen Verhandlungen der „Arbeitsgruppe zur Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften“ (WGIHR) bei der Weltgesundheitsorganisation WHO sitzt die Bundesrepublik Deutschland nicht mit einer eigenen Stimme mit am Tisch. Die Bundesregierung hatte ihre Interessenvertretung der Europäischen Kommission überlassen. Das geht aus einer Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Dr. Rainer Rothfuß hervor:

Das Verhandlungsmandat für die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) wurde an die Europäische Kommission übertragen. Die Europäische Union (EU) hat mit allen Mitgliedstaaten gemeinsam eigene Änderungsvorschläge erarbeitet und vorgelegt.“ (PDF)

Sabine Dittmar (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium und Verfasserin dieser Zeilen, verwies Rothfuß auf die bisher von der EU-Kommission unter dem Vorsitz Tschechiens in der Arbeitsgruppe eingebrachten Vorschläge zur Reform der IGV gemäß WHO-Beschluss WHA75(9). Sie finden sich als PDF-Dokument auf der Webseite der „Delegation der Europäischen Union bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen in Genf“ oder auch in einer Zusammenstellung sämtlicher bisher eingereichter IGV-Änderungsvorschläge auf globaler Ebene (PDF).

IGV: Mehr Daten, mehr Macht für die WHO

Laut Begleitschreiben des tschechischen Gesundheitsministeriums wurden die vielen Änderungswünsche der EU bereits am 30. September 2022 beschlossen. Sie zielen offensichtlich vor allem darauf ab, einen noch umfangreicheren Informations- und Datenaustausch zwischen der WHO und ihren Mitgliedstaaten zu ermöglichen und dem WHO-Generaldirektor noch mehr Machtbefugnisse einzuräumen. Insbesondere, wenn es um den „Umgang mit unbekannten Krankheitserregern“ geht (Artikel 3, Prinzipien).

Wie die neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften in Gänze aussehen könnten, zeigt eine „Artikel-für-Artikel-Zusammenstellung der vorgeschlagenen Änderungen“ des WHO-Sekretariats (PDF). „Mehr als 300 Änderungsvorschläge zu 33 der 66 Artikel der IGV und 5 ihrer 9 Anhänge sowie 6 neue Artikel und 2 neue Anhänge“ seien von den 196 „Vertragsstaaten der IGV“ bereits eingereicht worden, heißt es auf der Webseite der Arbeitsgruppe WGIHR. Die Gruppe wird sich demnach voraussichtlich noch drei Mal treffen, bevor sie ihr IGV-Reformpapier bei der 77. Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 zur Prüfung frei geben wird.

Der Fahrplan zur Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften:

  • 14. bis 18. Juli 2023: Viertes Treffen der Arbeitsgruppe zur Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (WGIHR)
  • 2. bis 6. Oktober 2023: Fünftes Treffen der WGIHR
  • 7. bis 8. Dezember 2023: Sechstes Treffen der WGIHR
  • Mai 2024: 77. Weltgesundheitsversammlung
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WHO-Pandemievertrag: laut EU „rechtsverbindlich“ für die Mitgliedstaaten

Die EU-Kommission kümmert sich im Namen ihrer Mitgliedstaaten aber nicht nur um die Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften, sondern setzt sich auch für den neuen supranationalen WHO-Pandemievertrag (Zwischenstand vom 1. Februar 2023: PDF) ein, der ebenfalls im Mai 2024 bei der 77. Weltgesundheitsversammlung geprüft und verabschiedet werden soll.

Dafür war im Dezember 2021 auf einer WHO-Sondersitzung eigens ein „Zwischenstaatliches Verhandlungsgremium“ („Intergovernmental Negotiating Body“) aller WHO-Mitgliedsländer eingerichtet worden. „Die Kommission handelt in Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Union das Abkommen im Namen der EU auf der Grundlage der Verhandlungsrichtlinien des Rates aus“, heißt es dazu auf der Website des Rats der Europäischen Union. Der Entwurf steckt laut WHO ebenfalls noch in der Entwicklungsphase.

Die Idee zu einem neuen „Instrument“ für die globale Pandemiebekämpfung wurde übrigens während des „Pariser Friedensforums“ im November 2020 vor dem Hintergrund der Corona-Krise geboren. Ideengeber war Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates.

„Die endgültige Entscheidung über die Annahme des Instruments liegt bei den WHO-Mitgliedstaaten“, heißt es auf der Website des Rats der Europäischen Union. „Sobald das Instrument vereinbart ist, wird es rechtsverbindlich und in der WHO-Verfassung verankert sein“.

Bundestag sagt Ja zu mehr Geld und Macht für die WHO

Obwohl Deutschlands Stimme zur IGV-Reform und zum WHO-Pandemievertrag, also während der Ausarbeitungsphase nur über die EU-Kommission in einer internationalen Arbeitsgruppe beziehungsweise über das „Zwischenstaatliche Verhandlungsgremium“ zum Pandemievertrag zum Tragen kommt, hatte der Bundestag am 12. Mai 2023 mehrheitlich entschieden, der WHO generell mehr Geld und vor allem mehr Macht zu verschaffen. Nur drei Tage zuvor hatten die drei Ampelfraktionen eine entsprechende Beschlussvorlage eingereicht (BT-Drucksache 20/6712). Darin heißt es unter anderem:

Die EU stellt die UN-Agentur in ihrer Globalen Gesundheitsstrategie ganz klar ins Zentrum jeglicher neuen globalen Gesundheitsordnung. […] Es ist erforderlich, dass die beiden Prozesse zur internationalen Regulierung der Bewältigung von Pandemien die leitende Rolle der WHO in der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion berücksichtigen und stärken. So könnten die laufenden Verhandlungen zu einem Pandemieabkommen oder -instrument im Rahmen der WHO und die Reform der IGV dazu beitragen, die Durchsetzungsfähigkeit sowie Unabhängigkeit der WHO im Falle einer Gesundheitskrise zu verbessern. […] die WHO [muss] in der Lage sein, eine führende und koordinierende Rolle auszuführen, wie es auch der Globale Aktionsplan (The Global Action Plan for Healthy Lives and Well-being for All, SDG 3 GAP) vorsieht. Das erfordert aber die Bereitschaft der globalen Gesundheitsakteure, die eindeutige Führungsrolle der Organisation anzuerkennen und der Mitgliedstaaten, einem multilateralen Ansatz in globalen und regionalen Gesundheitsfragen Vorrang einzuräumen.” (Hervorhebungen: Epoch Times)

Aufgabe der Souveränität in Gesundheitsfragen?

Insbesondere der geplante WHO-Pandemievertrag stößt international auf viel Widerstand. Befürchtet wird allgemein eine Aufgabe der Souveränität der Nationalstaaten zugunsten weitreichender Befugnisse für die WHO, besonders für deren Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: Sollte das „Instrument“ tatsächlich verabschiedet und von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden, hätte Ghebreyesus beispielsweise das alleinige Sagen, wenn es um die Ausrufung einer Pandemie und deren Beendigung geht.

Die Wissenschaftliche Initiative Gesundheit für Österreich e. V., ein Netzwerk von Angehörigen der Gesundheitsberufe, fasst es in einem öffentlichen Brandbrief an Politik, Gerichte und Medien so zusammen:

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) plant, ein Abkommen über die „weltweite Pandemievorsorge“ zu etablieren. Das Vorhaben ist hochgefährlich. Dieses Abkommen soll ermöglichen, dass die WHO nicht mehr wie bisher Empfehlungen für die Regierungen der Mitgliedsländer abgibt, sondern Entscheidungen trifft, die als Gesetze gelten und sogar über unserer Verfassung stehen sollen. Das „Abkommen zur Pandemievorsorge“ würde eine Umgehung aller demokratischen Institutionen bedeuten, denn die WHO selbst ist nicht demokratisch legitimiert.“

Das sehen wohl auch die Unterzeichner einer „Citizengo.org“-Petition gegen den WHO-Pandemievertrag ähnlich: Stand Anfang Juli 2023 hatten bereits mehr als eine halbe Million Menschen die Aufforderung an Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigt, Deutschland nicht dem „Instrument“ zu unterwerfen.

 „Mimikama.org“: Opt-out-Möglichkeit besteht weiter

Dass WHO-Generaldirektor Ghebreyesus zum Weltdiktator werden könnte, verbannt Walter Feichtinger von der österreichischen Anti-Desinformationsplattform „Mimikama.org“ ins Reich der Verschwörungstheorien. Sein Beleg: Noch am 17. Mai 2022 habe Ghebreyesus selbst gesagt, dass die WHO „Ausdruck der Souveränität der Mitgliedstaaten“ und zudem „genau das [sei], was die souveränen 194 Mitgliedstaaten von ihr erwarten“. Zudem sähen „Artikel 20 und 22“ [der WHO-Verfassung] vor, dass Beschlüsse der WHO für jene Mitgliedsländer nicht in Kraft treten, die fristgerecht ihre Ablehnung oder Vorbehalte kommuniziert haben. „Jeder Mitgliedstaat hat damit die Möglichkeit eines Opt-out“, meint Feichtinger.



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