„Die Grenze der Belastbarkeit ist längst erreicht“: Mittelstand kämpft ums Überleben
„Die Grenze der Belastbarkeit ist längst erreicht“ – so lautet der Hilferuf der mittelständischen Industrie in Deutschland.
Der Grund: Seit diesem Jahr befindet sich Deutschland klar in einer Rezession. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen für das Gesamtjahr 2023 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,4 bis 0,6 Prozent. In der Industrie zeigt sich das durch nachlassende internationale Wettbewerbsfähigkeit und deutliche Auftragsrückgänge.
Deswegen starteten am 7. November 2023 dreizehn Fachverbände unter der Federführung des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung e. V. (WSM) die Kampagne „Wir. Formen. Fortschritt.“ Wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht, wollen sie die Interessen einer der größten mittelständischen Branchen in Deutschland vertreten und ihre wirtschaftspolitischen Vertreter auf Länder-, Bundes- und europäischer Ebene erreichen. In erster Linie wenden sie sich an die Bundesregierung in Berlin.
Rund 5.000 vorwiegend familiengeführte Betriebe bilden die Industrie der Stahl- und Metallverarbeitung in Deutschland. Diese beschäftigt insgesamt rund eine halbe Million Menschen und erwirtschaftet pro Jahr über 80 Milliarden Euro Umsatz.
Verband: Industrie „nicht Teil des Problems, sondern der Lösung“
Laut Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung (WSM), geben die aktuellen Wirtschaftszahlen für den Standort Deutschland „Anlass zu größter Sorge“. So fiel die Prognose für das Gesamtjahr aufgrund der anhaltenden Nachfrageschwäche erneut und liegt nun bei minus drei Prozent.
Der Verband rechnet trotz jüngst angekündigter wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Bundesregierung nicht mit einer baldigen Trendwende. „Notwendig wären unter anderem eine sofortige Senkung der Energiekosten – und zwar unabhängig von der Betriebsgröße“ forderte Vietmeyer. Ebenso müsse ein massiver Bürokratieabbau erfolgen.
Die Kampagne „Wir. Formen. Fortschritt.“ will der Bundesregierung aber auch deutlich machen, dass ihre Branche beim klimafreundlichen Umbau der Industrie „nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist“. Denn viele der Mitgliedsunternehmen stellten Produkte her, die für den Umbau der Industrie von zentraler Bedeutung sind. Das sind etwa Komponenten für Windkraftanlagen, die Elektromobilität oder den Ausbau der Schiene.
„Dass die Produktion dieser Komponenten naturgemäß energieintensiv ist, bedeutet nicht, dass sie keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Zumal eine Verlagerung der Produktion ins Ausland produktions- und transportbedingt zu deutlich höheren CO₂-Emissionen führen würde“, erklärte Vietmeyer.
Schlechteste Standortbedingungen?
Im Rahmen der Kampagne kommen viele Unternehmen zu Wort und schildern anhand ihrer Erfahrungen die Probleme des Standorts Deutschland. Einer davon ist Thomas Hüttenhein, Geschäftsführer der Schlager Industrieofenbau GmbH und in der Geschäftsleitung der Wilhelm Schulte-Wiese Gesenkschmiede GmbH & Co. KG. Das Unternehmen produziert Kleinserienteile, unter anderem für den Schienen- und Bergbau. Zum Auftakt der Kampagne schilderte er:
Bei der Produktqualität sind wir weltweit führend. Aber irgendwann ist für unsere Kunden der Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr bereit sind, den deutschen Energiekostenaufschlag zu zahlen.“
Die Folge: immer mehr Auftraggeber suchen sich alternative Industriebetriebe in Osteuropa oder Asien, aber auch anderswo. Somit sei die Lage am Markt derzeit „schwierig“. Weiter sagte Hüttenhein:
Wer bessere Standortbedingungen sucht, wird in jedem einzelnen unserer Nachbarländer fündig – von Dänemark bis Frankreich.“
Und dabei gehe es nicht nur um die Energiekosten, sondern um ein insgesamt attraktiveres Gesamtpaket. „Es ist höchste Zeit, dass wir die rote Laterne abgeben.“ Weiter resümierte der 56-jährige Geschäftsführer: „Es war niemals so schwer, in Deutschland zu überleben, wie heute.“ Dabei zeigt er sich der Bundesregierung gegenüber offen und meint, dass die Probleme gemeinsam mit der Politik bewältigt werden müssten. Denn: „Überall in Deutschland steht der stahlverarbeitende Mittelstand auf der Kippe.“
Bürokratiemonster treffen Deutschland hart
Auch Ulrich Flatken, geschäftsführender Gesellschafter der Mecanindus Vogelsang Group und Vizepräsident des WSM, fand klare Worte: „Das Maß ist voll.“
Dabei erwähnte er besonders die bürokratischen Belastungen für den deutschen Mittelstand. Wenn die EU eine Richtlinie verabschiedet, die die mittelständische Industrie betrifft, treffe sie das härter, als die Wettbewerber in anderen EU-Ländern.
Warum das so ist? Weil wir ‚Gold-Plating‘ betreiben. Unsere Politik interpretiert EU-Richtlinien regelmäßig strenger und härter als unsere Nachbarn. Das kann und darf so nicht weitergehen.“
Flatken merkte zudem an, dass mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sowie der Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung „die nächsten Bürokratiemonster vor der Tür stehen“.
Ziel: Bessere Standortbedingungen
Der Präsident des Wirtschaftsverbandes, Dr.-Ing. Hubert Schmidt, formulierte, was sie mit der neuen Kampagne erreichen wollen. „Ziel der Kampagne ist es, gegenüber der Politik bessere Standortbedingungen einzufordern.“ Die Politik müsse dabei „sofort umlenken“, wie der Verband auf seiner Website fordert. Ebenfalls solle die Bedeutung der Industrie für Stahl- und Metallverarbeitung für die Transformation zu einer klimafreundlichen Industrie verdeutlicht werden.
Im Einzelnen fordert der Verband:
- Energiekosten senken.
- Sofortiger Bürokratieabbau.
- Fachkräftemangel wirksam bekämpfen.
- Infrastruktur verbessern.
- Verhältnismäßigkeit bei Steuern und Abgaben.
- Realistische Umweltvorgaben statt Technologieverboten.
Nach Ansicht des Verbandes sind die Probleme, unter denen die Branche aktuell leidet, grundsätzlich auch der Bundesregierung bekannt. Dafür sei sie sich jedoch bisher nicht der konkreten Auswirkungen bewusst, die sich für die Unternehmen und deren Mitarbeiter daraus ergeben.
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